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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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so große Verehrerin schöner Tapisserie, dass ich unmöglich wie unbeteiligt daneben sitzen kann«, entschuldigte sich Louise.
    »Jetzt habt Ihr mir aber noch immer nicht verraten, was der Grund Eures Besuchs ist, Monsieur«, sagte Alix freundlich.
    Van Orley saß im Schneidersitz unter der Eiche, mit aufrechtem Rücken und überkreuzten Beinen. Er trug schöne rote Stiefel und war überhaupt sehr sorgfältig gekleidet. Die scharlachrote Hose passte ausgezeichnet zu der hellblauen Jacke, zu der er noch eine imposante schwere Bronzekette um den Hals trug. Sein Gesicht war nicht unbedingt schön zu nennen, aber doch sehr einnehmend. Ein großer rotgelber Hut mit einer langen weißen Feder rundete den Gesamteindruck ab, von dem Marguerite sehr fasziniert schien.
    »Im Vatikan habe ich nicht nur Raffael getroffen, sondern noch jemand anders kennen gelernt, der mich sehr beflügelt hat. Und zwar einen Bischof namens Jean de Villiers.«
    »Oh, Jean!«, rief Alix. »Meint Ihr wirklich Jean? Ach, Louise«, sagte sie zu Louise, »bestimmt erinnert Ihr Euch, dass ich Euch in Cognac von ihm erzählt habe. Er war es, der uns gegen den Willen von Coëtivy verheiratet hat. Er hat sogar eine Sondererlaubnis erwirkt, weil ich zu jung war, um ohne das Einverständnis der Eltern eine Ehe einzugehen, und Jacquou die seines Herrn nicht bekommen hätte.«
    »Aber wie alt seid Ihr denn, Madame?«
    »Ach«, lachte Alix, »was spielt das schon für eine Rolle? Ich bin verheiratet, das ist das Entscheidende. Worüber habt Ihr mit Jean de Villiers gesprochen? Hat er mich erwähnt?«
    »Er ist schon sehr alt, aber er will nicht sterben …«
    »Jean ist doch nicht alt, das glaube ich nicht! Er kann doch noch nicht sterben.«
    »Jedenfalls hat er den Wunsch geäußert, dass er Jacquou noch einmal sehen will.«
    Alix’ Freude war wie weggewischt, und sie sah auf einmal nur noch unendlich traurig aus.
    »Hat er mich erwähnt?«, fragte sie noch einmal.
    »Er nennt Euch seinen ›wilden kleinen Weber‹.«
    »Ach, wenn ich ihn nur wiedersehen könnte! Ich würde ihn so gern mit Jacquou besuchen!«
    »Er hat mir gesagt, dass er Euch ein Geheimnis anvertrauen will, das er nicht mit ins Grab nehmen möchte.«
    »Bitte, mein Herr, redet nicht länger vom Tod, wenn es um Jean geht. Er wird noch sehr lange leben, da bin ich mir ganz sicher.«
     
    Die Gräfin und ihre Kinder verabschiedeten sich noch am selben Abend von Alix. Louise hatte ihrer Freundin fest versprochen, sie nach Chinon einzuladen, sobald sie sich dort eingerichtet hatten. Und Alix machte sich in Begleitung von Meister Van Orley auf den Rückweg nach Tours.
    Als sie dort ankamen, war es gerade dunkel geworden, und Alix nahm den Maler gleich mit zum alten Gauthier, wo sich Dame Bertille um ihn kümmern sollte, bis Jacquou wieder zurück war, falls er nicht sowieso bereits zuhause war.
    Dame Bertille, der man in Sachen Haushalt nichts vormachen konnte, hatte in Gauthiers altem Haus wahre Wunder vollbracht. Sie hatte die einzelnen Räume renoviert und verjüngt, indem sie mit Lampen und Kerzen mehr Licht schuf, alles Überflüssige entfernt und nur die schönen Möbel aus gewachstem Holz gelassen hatte, die jetzt erst richtig zur Geltung kamen. An den weiß gekalkten Wänden, die einen schönen Kontrast zu den dunklen Deckenbalken bildeten, hingen prächtige Tapisserien. Alles in allem war die Atmosphäre in dem Haus jetzt wohlig warm und freundlich.
    Als Jacquou aus Orléans zurückkam, fiel ihm Alix um den Hals, um sich dann allerdings bald zu lösen, weil sie es kaum erwarten konnte, ihm ihren neuen Freund vorzustellen.
    »Jacquou, das ist Meister Van Orley.«
    »Ja, natürlich, wir kennen uns doch!«, rief Jacquou. »Was führt Euch denn nach Tours – und dann auch noch gleich in dieses Haus? Jetzt bin ich aber gespannt, warum Euch Alix mitgebracht hat.«
    Als er den Grund erfahren hatte, wirkte er sehr bedrückt und ratlos. Sollte er jetzt schon seine Werkstatt längere Zeit allein lassen, obwohl seine Arbeit so wichtig war? Schließlich ging es ja um Jean. Jean, den Prälaten, der ihm so viel von seiner Mutter, Léonore, erzählt hatte, die kurz nach seiner Geburt gestorben war. Der Jean, der ihn in den Armen gehalten hatte, kaum dass er auf die Welt gekommen war. Und der ihr kaum eine Stunde später mit dem Versprechen, das Kind seinem Vater zu übergeben, die Augen geschlossen hatte.
    Und da sollte er einfach weghören! Machte ihn seine Werkstatt so undankbar und gleichgültig
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