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Die Seele des Ozeans (German Edition)

Die Seele des Ozeans (German Edition)

Titel: Die Seele des Ozeans (German Edition)
Autoren: Britta Strauss
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kann er dich nicht sehen?“ Fae drehte sich in Kjells Umarmung um und sah zu dem Schatten hinüber, der am Strand auf und ab lief. Sie hörte ihren Sohn weinen. Er ging in die Knie, grub seine Finger in den Sand und schluchzte. Sein Schmerz stach wie ein Messer in ihre Seele. Das letzte Mal hatte er geweint, als er ein Kind gewesen war. Auf dem Segelschiff, weit entfernt von hier, als sie ihm gesagt hatte, dass ihr Leben als Wanderer zu Ende war.
    Lies meinen Brief, Kjell. Ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst.
    „Warum sieht er uns nicht?“, flüsterte sie, hob ihren Arm und winkte. Doch ihr Sohn tat nichts. Er starrte nur mit verzweifeltem, leerem Blick auf das Meer hinaus.
    „Du weißt, warum.“ Kjell strich sanft über ihr Haar. In seinen Augen glommen Erstaunen und Liebe. „Er kann uns nicht wahrnehmen. Wir haben unsere Körper zurückgelassen. Sieh ins Wasser, Fae.“
    Sie tat es. Und als sie unter sich den bleichen Körper einer alten Frau entdeckte, zuckte sie erschrocken zusammen. Es war ihr Leichnam. Ihre tote, ertrunkene Hülle, die von der Strömung fortgetragen wurde.
    „Keine Angst.“ Er küsste sie. Wieder und wieder. Küsste alle Angst und jeden Zweifel fort. „Wir sind noch genauso wirklich wie vorher.“
    „Warum hast du mich so lange warten lassen?“ Wie losgelöst rannen die Tränen über ihr Gesicht. Sie wollte sie mit der Hand fortwischen, als sie sah, dass ihre Finger schlank und glatt waren. Fae sah an sich herunter, betastete ihren Körper und ihr Gesicht. Sie war wieder jung. Mein Gott, sie war wieder so, wie sie damals gewesen war, als sie sich das erste Mal getroffen hatten.
    „In der anderen Welt gibt es keine Zeit“, sagte Kjell. „Es gibt kein Alter und keinen Tod. Für mich war es nur ein Augenblick, für dich viele Jahre. Es tut mir so leid.“
    „Mir tut es leid. Es war meine Schuld. Ohne mich wärst du …“
    „Schschsch!“ Er legte zart einen Finger auf ihre Lippen. Sein geschmeidiger, schuppiger Fischkörper bewegte sich an ihren Beinen. „Alles sollte so kommen. Alles ist gut. Es war unser Schicksal.“
    „Ich weiß. Aber wo ist diese Welt hinter dem Tor? Wohin gehen wir?“
    Kjell lächelte und legte den Kopf in den Nacken. Fae tat es ihm gleich, blickte in das Meer funkelnder Sterne und beobachtete das im ersten Morgenlicht verblassende Band der Milchstraße.
    „Sie ist dort oben“, antwortete er. „Zu weit entfernt, um es zu begreifen. Die Seele ist unser Tor, aber wir können nur hindurch, wenn wir alles Irdische zurücklassen.“
    „Wenn wir sterben?“
    Er nickte nur und schwieg.
    „Dann bringst du mich dorthin?“
    Wieder küsste er sie. „Ja. Wenn du dich verabschiedet hast.“
    Fae blickte zu ihrem Sohn zurück. In diesem Moment stand er auf, hob einen Arm zu einer Abschiedsgeste und flüsterte etwas in den Wind.
    „Was sagt er?“, fragte Fae. „Ich verstehe es nicht.“
    „Er sagt Lebewohl. Und dass er dich liebt. Du kannst ihn loslassen. Er ist stärker als du glaubst. Vertraue mir.“
    Oh ja, ich vertraue dir …
    Ihr Schmerz fühlte sich auf einmal blass an, wie etwas Fremdes, denn langsam stieg in ihr die Erkenntnis auf, dass nichts zu Ende war. Alles bewegte sich in einem unendlichen Kreis, kehrte wieder und ging erneut, und sie wusste, dass ihre wirkliche Heimat nicht hier war.
    „Bist du bereit?“, fragte er leise.
    Sie nickte.
    Und dann tauchten sie. Tief und immer tiefer. Schwerelos, gedankenlos. Der Ozean war erfüllt von einer wundervollen Stimme, die im Rhythmus der Wellen auf- und abschwoll. Kjells Stimme. Vertonte Unendlichkeit, die sie leitete und beschützte, bis hinein in das grelle Licht und über den Schmerz hinaus.
    Ich bin bei dir, sagte sie. Gehen wir nach Hause.
    Wirklich nach Hause.

~ Ende ~
    Der Mensch besteht zu achtzig Prozent aus dem Wasser.
    Wenn man keine Liebe, keine Weisheit und kein Ziel hat,
    gleicht man einer Pfütze.
    Das Ziel gibt einem die Strömung. Weisheit verleiht uns Tiefe. Und Liebe gibt uns unendliche Weite und Kraft. Sei ein Ozean!
    ~Elena Klier~

Nachwort
    Einige Fragen werden nach diesem Ende offenbleiben. Was ist mit Breac und dem Seelenfresser? Wohin sind Fae und Kjell gegangen? Welches Geheimnis steckt hinter Theodora und ihrem Gemälde? Und vor allem: Wie geht es mit ihrem Sohn weiter, den ihr in diesem Buch nur bei sporadischen Auftritten kennenlernen durftet? Auch wenn das Ende gewiss nicht glücklich im eigentlichen Sinne ist, kann ich euch doch trösten. Die Geschichte wird
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