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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut
Autoren: Ulrich Ritzel
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steht außerdem eine Batterie von Weinflaschen, Großbottwarer Trollinger für den, der Rotwein vorzieht, und Auggener Schäf Gutedel.
    »Die Kollegen werden ja so intelligent sein und Gläser mitbringen?« , fragt sie einen älteren Mann, der sich über eine herausgezogene Schreibtischschublade gebeugt hat.
    »Schauen Sie, was ich gefunden habe«, antwortet der Mann und richtet sich wieder auf. Er steckt in einem grauen Glencheck-Anzug und hat sich zu einem blauen Hemd eine rote Krawatte umgebunden. »Eine alte Ausgabe von Johann Peter Hebels Kalendergeschichten.« Er lächelt verlegen und hält einen in verblasstes rotes Leinen gebundenen Band hoch. »Ich erinnere mich, dass ich das irgendwann im Herbst bei einem Antiquar gekauft habe. Als Trost. Es war nasskalt und neblig, und ich hätte mich am liebsten damit nach Hause verkrochen. Aber ob das jetzt drei oder fünf Jahre her ist, weiß ich wirklich nicht mehr.« Dann bemerkt er Tamars Blick.
    »Entschuldigen Sie. Zur Intelligenz der Kollegen möchte ich mich eigentlich nicht mehr äußern. Für die Beschaffung von Trinkgefäßen wird es wohl reichen.«

     
    Kriminalhauptkommissar Berndorf, Leiter des Dezernats I, hat sich an diesem Morgen sorgfältiger als sonst rasiert und den noch am besten erhaltenen Anzug herausgesucht. Dies ist ein besonderer Tag, in wenigen Minuten wird ihm Kriminalrat Englin die Entlassungsurkunde überreichen, und wenn das überstanden ist und die unsäglichen Worte über den Kollegen, dessen Rat uns immer willkommen sein wird , wenn das Händegeschüttel vorbei ist und der Umtrunk – dann wird Berndorf ein freier Mann sein, frei, zu tun und zu lassen und zu lesen, was immer ihm gefällt.
    Oder in das schwarze Loch zu fallen.
    Markus Kuttler stößt die Türe auf und schleppt zwei Plastiktüten voll Flaschen ins Zimmer. »Ich hab’ noch Mineralwasser besorgt«, erklärt er. Kriminalkommissar Kuttler wurde im Frühjahr vorübergehend in das Dezernat I abgeordnet und wird jetzt, nach Berndorfs Abschied, wohl länger bleiben.
    »Übrigens hab ich Englins Sekretärin auf dem Gang getroffen. Der Herr Kriminalrat brütet schon den ganzen Morgen über seiner Ansprache. Sein Papierkorb muss voller Entwürfe sein. Wenn ich ein besonders schönes Exemplar finde, lass ich es rahmen und schenk’ es Ihnen.«
    »Machen Sie sich nicht unglücklich. Die Staatsanwaltschaft hängt Ihnen ein Verfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses an.«
    Das Telefon klingelt. Tamar Wegenast nimmt den Hörer ab und meldet sich. Mit schmalen Augen sieht sie zu Berndorf hinüber.
    »Das geht jetzt schlecht, Kollege«, sagt sie dann. »Wir haben gleich Dienstbesprechung.«
    Der Gesprächspartner lässt nicht locker.
    »Danach wird es erst recht nicht gehen. Aber das erklärt er Ihnen vielleicht doch besser selbst.« Mit einer resignierenden Geste reicht sie den Hörer zu Berndorf, der ihn nimmt und sich meldet, an den Schreibtisch gelehnt.
    Am Telefon ist ein Beamter der Polizeidirektion Heidelberg. »Hauptkommissar Berndorf? Entschuldigen Sie bitte,
wenn mein Anruf ungelegen kommt. Aber sagt Ihnen der Name Troppau, Wilhelm Troppau etwas?« Berndorf antwortet nicht.
    »Kollege, sind Sie noch da?«
    »Ja«, sagt Berndorf schließlich. »Der Name sagt mir etwas. Was ist mit ihm?« Er greift sich einen Stuhl und setzt sich an seinen Schreibtisch, sodass er Tamar den Rücken zuwendet.
    »Suizid. Troppau hat sich aufgehängt. Vermutlich gestern, gegen Abend, meint der Arzt.« Die Stimme am Telefon wird zutraulich. »Eine Nachbarin hat durchs Fenster gesehen, dass in seiner Wohnung . . . also dass da einer hing, und hat die Kollegen vom örtlichen Revier in Sandhausen, hier bei Heidelberg, angerufen.«
    »Und die Kollegen haben ihn dann gefunden?«
    »Und heruntergenommen, ja. Wir haben ihn inzwischen zweifelsfrei identifiziert, und ein Fremdverschulden können wir auch ausschließen. Aber warum ich Sie anrufe – wir haben bei dem Toten einen Brief gefunden. Er lag auf dem Tisch, neben dem die Leiche hing.«
    Berndorf wartet.
    »Der Brief ist an Sie adressiert.«
    Wieder Schweigen. Diesmal fragt der Heidelberger Kollege nicht nach.
    »Wilhelm Troppau war ein Kollege«, sagt Berndorf schließlich. »Aber das wissen Sie sicher schon. Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich mir alles ansehen, nicht nur den Brief.«
    Wenig später legt er auf. Tamar schaut zu ihm hin. Was hat er? Er steht auf und dreht sich zu ihnen um. In seinem Gesicht hat sich ein Ausdruck
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