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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition)
Autoren: José Saramago
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hatten. Indem Elói mit Caçarelhos in Verbindung gebracht wurde, gab man den Ort der Lächerlichkeit preis. Oder sollte es vielleicht ein Denkfehler sein, wenn wir meinen, die Schuld dem Ort geben zu können und nicht denen, die dort geboren sind. Der Apfel ist madig, weil der Baum krank ist, und nicht, weil der Boden vergiftet ist. Es sei also gesagt, dass dieses Dorf von keinem anderen Übel befallen ist als dem, am Ende der Welt zu liegen, und auch sein Name hat wahrscheinlich nicht das Geringste damit zu tun, was man im Minho sagt, nämlich dass ein caçarelho ein Schwätzer ist, der kein Geheimnis für sich behalten kann. Caçarelhos wird seine Geheimnisse haben: Dem Reisenden jedoch hat sie niemand erzählt, als er über den Marktplatz ging, wo heute Vieh verkauft wird, wunderbare honigfarbene Rinder, Augen wie Rettungsbojen der Zärtlichkeit und Lippen, weiß wie Schnee, die friedlich und gelassen wiederkäuen, während ihnen ein Sabberfaden aus dem Maul läuft, das Ganze unter einem Wald von Leiern, ihrem Hornwerk, dem natürlichen Resonanzkörper für das Gebrüll, das hin und wieder aus der Menge aufsteigt. Sicherlich birgt dies Geheimnisse, aber keine, die sich mit Worten erzählen ließen. Einfacher ist es, das Geld zu zählen, soundso viel für den Ochsen, nimm mit, das Tier, das ist ein guter Kauf.
    Die Kastanienbäume sind bedeckt mit kleinen stachligen Früchten, sie erinnern an Horden von Grünfinken, die auf den Ästen rasten, um Kraft für den langen Flug in den Süden zu sammeln. Der Reisende ist ein sentimentaler Mensch. Er hält an, reißt eine stachlige Kastanie ab und behält sie mehrere Monate lang als Souvenir, bis sie vertrocknet ist. Er muss sie nur in die Hand nehmen, und schon sieht er den großen Kastanienbaum am Straßenrand vor sich und spürt die lebendige Morgenluft. Eine Kastanie kann so viel verheißen.
    Die Straße führt in Kurven hinab nach Vimioso, der Reisende ist glücklich und murmelt: »Was für ein schöner Tag.« Am Himmel ziehen vereinzelte weiße, flockige Wolken vorbei, die ihre Schatten über die Felder gleiten lassen, ein leichter Wind weht, es scheint, als habe die Welt gerade erst angefangen zu existieren. Vimioso liegt an einem flachen Hang, ein ruhiger kleiner Ort, jedenfalls erscheint es dem Durchreisenden so, der nicht lange bleiben will, nur so lange, um von einer Frau ein paar Informationen zu bekommen. Hier wird er zum ersten Mal enttäuscht. So hilfsbereit war seine Informantin, fast hätte sie ihm alle Sehenswürdigkeiten des Städtchens gezeigt, und in Wirklichkeit wollte sie ihm nur ihre selbstgenähten Handtücher verkaufen. Das kann man ihr nicht übelnehmen, aber der Reisende ist noch nicht lange unterwegs, er denkt, die Welt hätte nichts anderes zu tun, als ihm weiterzuhelfen. Er geht eine Straße hinunter, und dort wird er entschädigt. Natürlich gewinnt in seinen Augen, die die sakrale Architektur auf dem Land nicht gewohnt sind, alles schnell den besonderen Reiz des Wunderbaren, aber es bereitet tatsächlich große Freude, die Kontraste zu entdecken zwischen einer Fassade aus dem 17. Jahrhundert, robust, aber mit ersten Zeichen einer gewissen barocken Kälte, und dem Inneren des Kirchenschiffs, weitläufig und niedrig, mit einer Atmosphäre von Romanik, die von keinem architektonischen Element belegt wird. Aber die eigentliche Belohnung ist die Geschichte, die der Reisende draußen im Schatten der Bäume, auf den Stufen, die in den Kirchhof führen, über den Bau dieser Kirche zu hören bekommt. Unter der Bedingung, eine eigene Kapelle zu erhalten, stellte eine Familie ein Ochsengespann für den Transport der Steine zur Errichtung der Kirche zur Verfügung. Die Tiere brauchten zwei Jahre dafür, und der Weg vom Steinbruch bis zu den Unterständen der Maurer war so exakt bemessen, dass man bald nur noch den Wagen beladen und »Ho!« rufen musste, worauf sie ohne Gespannführer unter dem Ächzen der ungeschmierten Räder durch die Einöde jagten und dabei lange Gespräche über den Hochmut von Menschen und Familien führten. Der Reisende will wissen, was für eine Kapelle das war und ob es noch irgendwelche Nachkommen gab, die das Nutzungsrecht hatten. Das konnte man ihm nicht sagen. Es gab keine besonderen Anzeichen dafür, aber sie mochten durchaus existieren. Was bleibt, ist die Geschichte einer Familie, die nichts von sich hergab außer einem Ochsenpaar, das ihnen, unter großen Mühen, die Straße ins Paradies ebnen sollte.
    Der Reisende
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