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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition)
Autoren: José Saramago
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fürchtet. In fünfhundert Jahren hat niemand daran gedacht, diese Unverschämtheit zu entfernen, ein unverhoffter Beweis dafür, dass den Portugiesen der Humor doch nicht ganz fremd ist, auch wenn vielleicht nur in patriotischen Belangen. Von der Brüderlichkeit der Fische im Rio Douro hat man hier nichts gelernt, aber vielleicht gibt es dafür gute Gründe. Denn da eines Tages die himmlischen Mächte im Kampf gegen die Spanier auf Seiten der Portugiesen standen, wäre es doch merkwürdig gewesen, wenn die Menschen auf dieser Seite des Flusses sich darüber hinweggesetzt hätten. Der Fall ist schnell erzählt.
    Die Restaurationskriege waren gerade in vollem Gange, es war also Mitte des 17. Jahrhunderts, und Miranda do Douro, am Ufer des Rio Douro, lag sozusagen nur einen Katzensprung von der Inangriffnahme durch den Feind entfernt. Es herrschte Belagerungszustand, der Hunger war groß, die Belagerten gaben alle Hoffnung auf, Miranda schien verloren. Und da taucht unversehens, so erzählt man sich, ein Knabe auf und ruft das müde Volk zu den Waffen, flößt ihm Mut und Kraft ein, wo diese schon verloren schienen, und mit einem Mal erheben sich all die Schwachen und Mutlosen, greifen zu den Waffen, nehmen, was immer sie finden, und folgen dem Kind gegen die Spanier, als gälte es, das frische Korn zu dreschen. Die Belagerer geschlagen, feiert Miranda do Douro seinen Sieg und schreibt ein neues Kapitel der Kriegsannalen. Aber wo ist der Anführer dieser Armee? Wo der edle Kämpfer, der den Kreisel gegen den Stab des Feldmarschalls eintauschte? Er ist weg, keiner kann ihn finden, niemand hat ihn mehr gesehen. Also war es ein Wunder, sagen die Bewohner Mirandas. Es muss das Jesuskind gewesen sein.
    Der Reisende stimmt dem zu. Wenn er mit den Fischen sprechen kann und sie ihm zuhören, dann gibt es keinen Grund, den alten Kriegsberichten keinen Glauben zu schenken. Zumal er ja hier zu sehen ist, der Menino Jesus da Cartolinha, zwei Handbreit groß, am Gürtel das silberne Schwert, die rote Schärpe um Schulter und Hüfte, das weiße Tuch um den Hals und die Zylinderkappe oben auf dem runden Knabenkopf. Das ist nicht das Kriegsgewand, nur ein Teil seiner bequemen Alltagsgarderobe, die der Küster der Kathedrale dem Reisenden zeigt. Der Küster weiß um seine Aufgabe als Fremdenführer, und da er feststellt, dass der Reisende ein aufmerksamer Beobachter ist, führt er ihn zu einem Seitengebäude, wo einige Statuen zum Schutze vor Gaunern und Gelegenheitsdieben aufbewahrt werden. Hier erhärtet sich sein Verdacht. Eine kleine Tafel, in Hochrelief geschnitzt, überzeugt den Reisenden endlich, dass er in Sachen Wunder ein Anfänger ist. Da ist der heilige Antonius, der den Kniefall eines Schafes entgegennimmt, das damit seinem ungläubigen Hirten eine vorbildliche Glaubenslektion erteilt, denn dieser hatte sich über den Heiligen lustig gemacht, und auf dem Bild sieht man ihn voller Scham, also darf er vielleicht noch auf Erlösung hoffen. Der Küster erklärt, die Tafel wäre sehr bekannt, aber nur wenige hätten sie wirklich gesehen. Unnötig zu erwähnen, dass der Reisende außer sich vor Stolz ist. Er kommt von so weit her, ohne jede Empfehlung, und nur weil er wie ein ehrlicher Mensch aussieht, vertraut man ihm diese Geheimnisse an.
    Die Reise steht noch ganz am Anfang, und gewissenhaft, wie er nun mal ist, überkommen den Reisenden bereits erste Zweifel. Was ist denn das für eine Art zu reisen? Mal eben durch dieses Städtchen Miranda do Douro laufen, die Kathedrale besuchen, den Küster, die Cartolinha und das Schaf, und, kaum ist das erledigt, ein Kreuz auf die Karte machen, sich auf den Weg begeben und wie der Barbier, der das Handtuch ausschüttelt, rufen: »Der Nächste bitte.« Reisen sollte anders, etwas anderes sein, es geht mehr darum, an einem Ort zu sein, als sich fortzubewegen. Vielleicht sollte man auch den Beruf des Reisenden einführen, aber das ist nur etwas für Menschen, die wirklich dazu berufen sind, wer meint, das sei eine Arbeit, die wenig Verantwortung erfordere, irrt gewaltig, jeder Kilometer zählt nicht weniger als ein Jahr im Leben. Während er sich mit diesen Betrachtungen abmüht, schläft der Reisende schließlich ein, und als er morgens aufwacht, ist da immer noch der gelbe Fels; das ist das Schicksal der Steine, sie bleiben stets am selben Ort, es sei denn, es kommt ein Maler und nimmt sie in seinem Herzen mit.
    Als er Miranda do Douro verlässt, schärft der Reisende noch einmal den
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