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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition)
Autoren: José Saramago
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Mittag ist. Zwei Sekunden später hält er ein kleines dickes Glas in der Hand, und der noch heiße Schnaps fließt aus dem Hahn und dann die Kehle hinunter. Das Zeug ist scharf wie ein Hobel. Es gibt eine Explosion im Magen, der Reisende lächelt heldenhaft und wiederholt die Prozedur. Vielleicht um den Schaden wiedergutzumachen, drückt die Frau das Brot gegen die Brust, eine Geste voller Liebe, schneidet den Rand und eine Scheibe ab, und ihr Blick fragt: »Wollen Sie ein Stück?« Der Reisende hatte um nichts gebeten, und man gab ihm. Ein schöneres Geben kann es nicht geben.
    Die nächste halbe Stunde verbringt der Reisende im Gespräch mit Daniel São Romão und seiner Frau, während sie an der milden Wärme des Feuers sitzen. Andere Leute kommen vorbei, bleiben stehen und gehen weiter, und ein jeder sagt, was er zu sagen hat. Das Leben in Rio de Onor ist schwer. Zahnschmerzen werden hier mit Schnaps kuriert. Nach ein paar Gläsern weiß der Patient nicht, ob der Schmerz weg ist oder ob er einfach nur betrunken ist. Darüber kann man ja noch lachen, aber nicht über die Geschichte einer Frau, die mit Zwillingen schwanger war und die, nachdem der erste geboren war, nicht wusste, dass es noch einen zweiten auf die Welt zu holen galt, und so litt sie vierundzwanzig Stunden, ohne zu wissen, woran, und als zur großen Verwunderung aller schließlich das zweite Kind kam, war es tot. Der Reisende ist nicht auf Reisen gegangen, um Geschichten wie diese zu hören. Das mit dem Schnaps ist eine großartige und pittoreske Idee, jawohl, den guten Daniel São Romão hier hinzusetzen und ihn den Touristen Schnaps anbieten zu lassen, aber mit solchen Geschichten muss man vorsichtig sein, man muss die Bewohner vor allzu vertraulichen Mitteilungen warnen, was sollen die Fremden denken.
    Daniel São Romão erklärt, wie der Schnaps gemacht wird. Er steht auf und fordert den Reisenden auf mitzukommen, und das tut er, immer noch auf seinem Stück Brot herumkauend, dieses hier ist der Rohstoff, der Trester der Trauben, ein ganzer Speicher voll. »Aber der Schnaps ist nicht besonders gut«, sagt der Hersteller, und der Reisende ist erstaunt über seine Ehrlichkeit.
    Seit seinem Gebet an die Fische und der Episode mit dem Jesuskind beschäftigt den Reisenden das Thema der Grenze: »Wie ist das bei Ihnen? Verstehen Sie sich gut mit den Spaniern?« Antworten tut ihm eine sehr alte Frau, die nie woanders gewesen ist und deswegen weiß, wovon sie spricht: »Ja. Wir haben sogar Land drüben.« Diese unübersichtlichen Besitzverhältnisse verwirren den Reisenden, umso mehr, als eine andere alte, wenn auch nicht ganz so alte Frau hinzufügt: »Und sie haben auch Land hier.« Der Reisende wirft einen Blick auf seine Knöpfe und bittet sie um Aufklärung, aber sie antworten ihm nicht. Wo ist denn jetzt die Grenze? Und wie heißt dieses Land hier? Ist das noch Portugal? Oder schon Spanien? Oder ist es einfach Rio de Onor und sonst nichts?
    Hier herrschen andere Regeln. Zum Beispiel bringt der Junge, der die Kuhherde führte, das Vieh vom ganzen Dorf auf die gemeinsame Weide. Vom gemeinschaftlichen Leben von früher ist insgesamt nicht viel übrig geblieben, aber Rio de Onor leistet Widerstand: Den Fremden wird Brot und Schnaps angeboten, und wenn es regnet und kalt wird, brennt auf der Straße ein Feuer. Und wenn Daniel São Romão in Hemdsärmeln dasteht, sollen sich die Reisenden nicht wundern: Er ist es gewohnt, und es macht ihm nichts aus.
    Der Reisende überquert die Brücke. Es ist Zeit zu gehen. Er hört eine Frau ihre Söhne rufen: »Telmo! Moisés!«, und behält den Klang dieser Namen, die man heute so selten hört, in Erinnerung, aber auch einen anderen, den er gar nicht gehört hat, die Schreie der Frau, der ein Kind gestorben war, von dem sie gar nicht wusste, dass es in ihr war.

Die Geschichte vom Soldaten José Jorge
    Kurz vor Bragança fängt es an zu regnen. Am Himmel ziehen große dunkle Wolken auf, es scheint, als wollte die Welt sich, genau wie die Dörfer, ein Dach aus Schiefer bauen, aber es ist ihr nicht gut gelungen, denn der Regen fällt durch die Löcher, und der Reisende flüchtet ins Museu do Abade de Baçal. Der Abt, nach dem das Museum benannt wurde, war Pater Francisco Manuel Alves, der 1865 in Baçal geboren wurde. Er war Archäologe und Forscher, er gab sich nicht mit seinen priesterlichen Verpflichtungen zufrieden und hinterließ ein bedeutendes und weit reichendes Werk. Es ist daher nur gerecht, wenn sein Name
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