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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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dem Bewusstsein, nicht in die prunkvolle altstädtische Liebfrauenkirche, sondern eher in die bescheidene und beinahe fensterlose Johanniskirche, die sich zwischen die Katen der Neustadt duckte, zu passen, bemühte sich Luisa, so geräuschlos wie möglich aufzutreten.
    Sie suchte sich einen Platz in einer Seitenkapelle hinter einem Pfeiler, von dem aus sie einen guten Überblick über die Kirche hatte, aber selbst nicht gesehen wurde. Sie fürchtete sich vor den Blicken der Altstädter, las in ihren Mienen den Satz, der sie bloßstellte: Du gehörst hier nicht her.
    Nur wenige Besucher waren an diesem Morgen anwesend; die meisten Frankfurter kümmerten sich um ihre Tagesgeschäfte, konnten den Herrn nur am Sonntag heiligen.
    Lange beobachtete Luisa ein Mädchen, das in ihrem Alter war. Sie trug ein langärmliges, bodenlanges Unterkleid aus leuchtend rotem Stoff, darüber ein himmelblaues, leicht gefälteltes und ärmelloses Oberkleid, das unter der Brust gegürtet war und formlos bis auf die Schuhspitzen fiel. Ein einfacher Besatz an den engen Ärmeln und am viereckigen Ausschnitt unterstrich die Schlichtheit. Ihre Haare flossen offen über die Schultern und wirkten wie ein drittes Kleid aus kostbarem Fell. Die Wangen des Mädchens waren rosig und die Augen durch keinerlei Leid getrübt.
    An der Kleidung erkannte Luisa, dass das fremde Mädchen die unverheiratete Tochter eines einfachen Handwerkers oder Schulmeisters war, die über einen ehrlichen Geburtsschein verfügte, die Bürgerrechte besaß und deshalb ohne Scham in den vorderen Kirchenbänken sitzen durfte.
    Während Luisa mit eingezogenen Schultern hinter dem Pfeiler kauerte, bemüht, so wenig Platz wie möglich einzunehmen, und kaum wagte, den Blick zu heben, saß das fremde Mädchen raumgreifend, gerade und mit erhobenem Kopf an seinem Platz. Ihre Hände hatte sie in den Schoß gelegt. Weiße, weiche Hände mit glänzenden, festen Fingernägeln und schmalen Gelenken. An einem Zeigefinger war ein kleiner schwarzer Fleck zu sehen, Tinte vielleicht, den das Mädchen abzukratzen versuchte. Jetzt sah sie sich um, drehte den Kopf furchtlos nach links und rechts und musterte die wenigen Anwesenden ohne Scheu.
    Die Messdiener kamen und entzündeten die Kerzen auf dem Altar, legten die kostbare, in Leder gebundene Bibel bereit.
    Das Mädchen hatte den Rücken angelehnt, den Kopf leicht geneigt, und wickelte sich gelangweilt eine ihrer blonden, glänzenden Haarsträhnen um den Finger. Sie rutschte hin und her, gähnte versteckt und kicherte sogar, als sich der dicke Priester japsend auf die Kanzel hochquälte. Doch plötzlich schrak das Mädchen zusammen und mit ihm auch Luisa.
    «Sünder, allesamt!»
    Die donnernde Stimme des Priesters dröhnte durch das Gotteshaus, und Luisa spähte hinter ihrem Pfeiler hervor nach vorn zur Kanzel, auf der der dickwanstige Gottesdiener stand, die Hände fest um das Geländer gekrallt.
    «Sünder vor Gott seid ihr!», schrie er nun wieder und sprühte Spucketröpfchen durch das Kirchenschiff.
    «Ihr verstoßt gegen die zehn Gebote», tobte der Priester weiter auf seiner Kanzel, die unter seinem beträchtlichen Gewicht gefährlich ächzte.
    «Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat, steht geschrieben im Buch der Bücher. Doch ihr begehrt von morgens bis abends, was euch nicht zusteht.»
    Wie ein Racheengel, der in der Hand das flammende Schwert hielt, thronte der Priester über den Köpfen seiner erschrockenen Gemeinde und predigte von Schuld und Sühne.
    Luisa war auf der harten Kirchenbank noch mehr zusammengesunken und hatte die Blicke schuldbewusst auf den Boden gerichtet. «Du sollst nicht begehren …»
    Der Satz schwirrte in ihrem Kopf herum und hallte wie ein tausendfaches Echo in ihr wider. «Du sollst nicht begehren …»
    Ich bin eine Sünderin, dachte Luisa bestürzt. Ich begehre das, was Sibylla gehört, begehre mehr als nur ihr Haus und ihren Besitz; ich begehre ihr Leben und stehle ihr den Tod.
    Ein Mordbube ist einer, der einem anderen das Leben stiehlt. Ich aber will Sibyllas Tod stehlen. Was ist das Gegenteil von Mord? Wiedererweckung? Auferstehung?
    Luisas Atem stockte. Nein, nein, bat sie in Gedanken Gott um Abbitte. Ich wollte nicht lästern, nicht hochfahrend sein, bestimmt nicht.
    «Nicht an deinen Worten wirst du gemessen, spricht der Herr, sondern an deinen Taten», dröhnte der
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