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Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Autoren: Alison Croggon
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zunehmendes Unbehagen, und Maerad spürte gar Furcht in sich keimen. Etwas ging vor sich, sie konnte es fühlen. Mit dem wachsenden Gefühl eines bevorstehenden Verhängnisses beobachtete sie, wie draußen die Schatten länger wurden.
    »Nun wird Enkir gezwungen sein, rasch zu handeln«, meinte Saliman voll Überzeugung. »Was ihm wohl durch den Kopf gegangen ist, als du sie vor dem ganzen Rat angekündigt hast, Cadvan? Hier ist Maerad von Pellinor! Sie könnte das ganze Gebilde zum Einsturz bringen. Glaubst du, er hat Pläne für einen solchen Fall geschmiedet? Du, Maerad, hast gesehen, wie dicht er davor stand, sich während des Rats zu offenbaren. Und ich halte Enkir für jemanden, der seine Pläne sorgfältig im Voraus durchdenkt, bis hin zur letzten Einzelheit. Und sie ist die Ausersehene! Ich glaube, das hat ihn aus dem Gleichgewicht geworfen. Und ich glaube, darin liegt Hoffnung. Er wird etwas Unbesonnenes tun.«
    »Vielleicht«, meinte Maerad. »Aber ich denke, er hat eigene Spitzel. Vermutlich haben wir ihn nicht so sehr auf dem falschen Fuß erwischt, wie Ihr denkt.« »Hast du dabei Heigar im Kopf?«, fragte Cadvan. Er lief rastlos auf und ab. »Ja, ich denke, es wäre nicht gut, ihn zu unterschätzen; obwohl ich ebenfalls glaube, dass ihn unsere Behauptung, Maerad sei die Ausersehene, völlig überrascht hat. Die Finsternis ist durch ihr eigenes Wesen in vielerlei Hinsicht blind; es gibt vieles, was sie nicht versteht. Enkir hätte nie gedacht, dass eine Frau solche Macht besitzen könnte. Und er weiß nicht - oder zumindest glaubeich, dass er es nicht weiß -, dass wir Hem gefunden haben. Aber du dürftest recht haben, Saliman: Er wird nun rasch handeln. Ich vermute, er wird versuchen, uns loszuwerden, bevor wir etwas unternehmen können. Wir müssen weg aus Norloch. Wir alle.«
    »Wohin sollen wir gehen?« Hem richtete sich auf und starrte kampflustig auf Saliman und Cadvan.
    Cadvan überlegte kurz. »Ich finde, wir sollten nicht zusammen fliehen«, meinte er schließlich. »Man wird uns verfolgen. Wir sollten uns aufteilen.«
    Einen Lidschlag lang wirkte Hem am Boden zerstört, doch mit sichtlicher Willensanstrengung riss er sich am Riemen und stellte eine verwegene Unbekümmertheit zur Schau. Er will nicht als Kind betrachtet werden, dachte Maerad mit einem Anflug von Hingabe. Aber das ist er noch. Sie schlang den Arm um ihn und zog ihn an sich.
    »Ich denke, Cadvan hat recht«, meinte sie leise. »Auch wenn es hart ist.« »Das Beste«, fuhr Cadvan behutsam fort, »wäre, wenn Saliman Hem nach Süden bringt, während ich mit Maerad nach Norden aufbreche. Denn ich glaube, wir müssen nach Norden, und vermute, Maerad könnte mein Geleit immer noch brauchen. Richtig, Maerad?« Mit schmerzlichen Zweifeln in den Augen sah er sie an. Maerad begegnete seinem Blick. Einen Lidschlag lang zögerte sie, dann nickte sie bedächtig. Sie spürte, wie die Woge seiner Erleichterung durch sie hindurchströmte, und wurde von einer plötzlichen Gefühlsregung überwältigt, die sie nicht zu benennen wusste. Neben ihr war Hem sichtlich hin und her gerissen zwischen seiner Freude bei der Vorstellung, mit Saliman nach Süden zu reisen, und seinem Kummer darüber, sich von Maerad trennen zu müssen. Maerad wandte sich ihm zu und sah ihm eindringlich ins Gesicht. Trotz Hems Willenskraft kullerte ihm eine Träne über die Wange. »Sei tapfer, kleiner Bruder«, flüsterte sie. »Wir sehen uns wieder. Ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden. Und stell dir nur vor: Du wirst die Wasserfälle des Lamar vor mir zu Gesicht bekommen!«
    Hem misstraute der eigenen Stimme, deshalb schluckte er nur schwer und nickte. Saliman musterte Hem mit tiefem Mitgefühl in den Augen. »Wenn Maerad sagt, dass ihr euch wiedersehen werdet, dann wird das wohl auch so sein, denke ich«, meinte er. »Und vielleicht kann der Anblick der Wasserfälle ein kleiner Trost sein, wenngleich natürlich keine Schönheit der Welt den Verlust derer aufwiegen kann, die man liebt.«
    Hem blinzelte, dann setzte er sich gerader auf. »Cadvan hat recht«, fügte Saliman hinzu. »Aber zuerst müssen wir aus Norloch hinausgelangen. Irgendwie fürchte ich, das wird nicht so einfach werden.«
    »Dann sollten wir packen«, schlug Maerad unvermittelt vor. Sie blickte auf ihr Kleid hinab. »So kann ich nicht aufbrechen.«
    »Ja«, stimmte Cadvan zu. »Und wir sollten uns tunlichst beeilen.«
    Maerad empfand es als Erleichterung, etwas zu tun zu haben, statt nur zu reden.
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