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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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werden sie transportiert?«
    »Meist in Pferde- und Ochsenkarren, und bis nach Innsbruck ist das auch recht leicht. Doch jetzt wollen wir uns nicht länger mit Reden aufhalten. Mein Diener wird Euch in das Nachtquartier geleiten, danach bitte ich Euch zu Tisch.«
    Der Kaufmann zog an einer Klingelschnur, und ein Diener erschien. Er leuchtete Christoph mit einer Öllampe die Treppe hinauf. Im Zimmer griff Christoph zu einer Karaffe, goss Wasser in die bereitgestellte Porzellanschüssel, wusch sich und trocknete sich mit einem Baumwollhandtuch ab. Er schaute in den Spiegel. Die kurzen Haare und die bräunlich gefärbte Gesichtshaut ließen ihn älter aussehen. Seine klaren graublauen Augen blickten ihm ein wenig melancholisch entgegen. In den Augenwinkeln und um den sensiblen Mund herum hatten sich Fältchen gebildet.
    Christoph zog sich um und begab sich nach unten in den Speiseraum. Ein großer, schön gedeckter Tisch befand sich in der Mitte des Zimmers. Der Hausherr stand plaudernd inmitten einer Gruppe von vornehm gekleideten Damen und Herren. Als Christoph eintrat, wandte Pichler sich ihm zu und stellte ihn den Anwesenden vor.
    »Das ist Alois Breitnagel.« Er wies auf einen mittelgroßen, beleibten Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart, der mit Barett, lindgrünem Hemd, tannenfarbigem Wams und ebensolchen Strümpfen bekleidet war. Die großen Füße steckten in Schuhen aus weichem Leder, so weit ausgeschnitten, dass der dicke Spann über die Ränder quoll.
    »Er wird den Verband über die Alpen bringen«, erklärte Pichler. »Wie Ihr seht, trägt er die neueste Mode aus Italien, die ja maßgeblich für uns im Norden ist.«
    Die anderen wurden als die Dame des Hauses und als Kaufleute mit ihren Söhnen und Töchtern vorgestellt. Die Frauen trugen kunstvoll aufgesteckte Frisuren; die Dekolletés ihrer eng anliegenden Kleider waren weit ausgeschnitten. Einige hatten perlenbesetzte Zierschürzen umgebunden, und an ihren Ohren, Fingern und Kragen blitzten wertvolle Schmucksteine. Zum Essen legten alle ihre knielangen, kunstvoll geschlitzten Schauben ab. Nachdem man sich niedergelassen hatte, trug eine kleine, scheu aus dunklen Augen blickende Italienerin den ersten Gang auf. Es war eine Hühnerbrühe mit Kastanien, dazu gab es weißes Brot. Dem folgten ein Kapaun in Gewürzmilch und Mandelgelee mit Quittenkompott. Daneben wurde Honigwein gereicht. Man sprach über die Route nach Italien, die selbst im Sommer nicht ungefährlich sei. Es müsse mit Hochwasser, Gerölllawinen, Räuberbanden, Wölfen, mit Kälte, Nebel, Hunger und Verirrungen gerechnet werden. Die summenden Stimmen, das Klingen der Gläser und die Wärme des Feuers im Kamin ließen Christoph schläfrig werden. Nach Beendigung des Mahles empfahl er sich und stieg in seine Kammer hinauf, wo er bald darauf in einen tiefen, erquickenden Schlaf fiel.
    Helles Licht ließ ihn am nächsten Morgen blinzeln, und er versuchte sich einige Augenblicke daran zu erinnern, wo er war. Von draußen klangen die Rufe der Knechte. Überdem Dach des Nachbarhauses mit seinen graubraunen Schindeln sah er ein leuchtendes Stück Himmel; alles sah aus wie neu gemacht, und er hatte das Gefühl, als sei es gut und richtig so, wie es verlief, und als würde es ein friedliches Ende nehmen. Für sein Pferd, das er nun nicht mehr brauchte, hatte er einen guten Preis bekommen.
    Nach einem kräftigen Frühstück verließ Christoph Pichlers Haus und setzte sich neben den Fuhrknecht auf den Bock eines Wagens. Es war ein zweiachsiges Fahrzeug wie die anderen drei Gefährte auch, vor die jeweils vier Pferde gespannt waren. Der Wagen hatte eine starre Doppeldeichsel und große Speichenräder aus Holz, die für den Transport auf den sandigen, unbefestigten Straßen mit ihren Schlaglöchern am besten geeignet waren. Die Verpflegung wurde in Feldkästen verstaut. Christoph behielt das Felleisen mit den Büchern auf seinem Rücken. Alois Breitnagel sprach ein Bittgebet dafür, dass ihre Reise gut verlaufen und enden möge, dann hob er die Hand zum Aufbruch. Die Knechte feuerten ihre Zugtiere an, und der kleine Trupp setzte sich in Bewegung. Eine Zeitlang hörte Christoph nichts anderes als das Klappern der Pferdehufe und das Knarren der Räder. Die Berge des Karwendel standen still und klar vor ihm im Morgenlicht. Er sah viele Reisende, die mit ihnen nach Süden zogen oder von dorther kamen: reitende Boten mit Briefen für hohe Herren in fremden Ländern, Bauern auf dem Weg zum nächstgelegenen Markt,
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