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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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dem jungen Mann hin.
    »Armel« – denn Danglard lehnte es entschieden ab, ihn bei seinem Kriegsnamen »Zerk« zu nennen, und ebendas warf er dem Kommissar heftig vor –, »gieß mir noch mal ein, und du wirst erfahren, was diese Lina gesehen hat. Und welche Angst sie in ihren Nächten umtreibt.«
    Zerk bediente den Commandant mit dem Eifer eines Jungen, der fürchtet, eine Geschichte könnte unterbrochen werden, und nahm seinen Platz neben Danglard wieder ein. Er hatte keinen Vater gehabt, und nie hatte ihm einer Geschichtenerzählt. Seine Mutter putzte nachts in der Fischfabrik.
    »Danke, Armel. Und der Diener fährt fort:
Der Wald steckt voller Totenseelen und voller Dämonen. Ich habe sie rufen und schreien hören: ›Den Amtmann von Arques haben wir schon, jetzt holen wir uns noch den Erzbischof von Reims!‹ Darauf erwiderte ich: ›Wir wollen unsere Stirn mit dem Kreuz zeichnen und also behütet weitergehen.

«
    »Jetzt spricht wieder der Onkel Hellebaud.«
    »Genau. Und Hellebaud sagt:
Als wir voranschritten und den Wald erreichten, breitete sich schon die Dunkelheit aus, und dennoch hörte ich Stimmengewirr, Waffenlärm und Pferdegewieher, aber ich konnte weder die Schatten erkennen noch die Stimmen verstehen. Als wir zu Hause angekommen waren, fanden wir den Erzbischof in seinen letzten Zügen liegen, und er überlebte keine zwei Wochen, nachdem wir diese Stimmen gehört hatten. Wir schlossen daraus, dass er von diesen Geistern geholt worden war, von denen wir hatten sagen hören, sie seien gekommen, ihn zu ergreifen.
«
    »Das entspricht nicht dem, was die Mutter von Lina erzählt hat«, ließ Adamsberg sich in gedämpftem Ton vernehmen. »Sie hat nicht gesagt, dass ihre Tochter Stimmen gehört habe oder Gewieher, oder dass sie Schatten gesehen habe. Sie hat lediglich Michel Herbier und drei andere Kerle mit einigen Männern von diesem Heer gesehen.«
    »Deshalb, weil die Mutter nicht alles zu sagen gewagt hat. Und weil man in Ordebec nicht alles haarklein erläutern muss. Wenn dort einer sagt: ›Ich habe die Wilde Jagd vorüberreiten sehen‹, dann wissen alle sehr wohl, wovon die Rede ist. Ich will Ihnen diese Jagd, wie Lina sie gesehen hat, noch eingehender beschreiben, dann werden Sie verstehen, dass ihre Nächte seitdem nicht sehr friedlich sind. Und eins ist sicher, Kommissar, sie dürfte es in Ordebec jetzt sehr schwer haben. Man geht ihr bestimmt aus dem Weg,man meidet sie wie die Pest. Ich glaube, die Mutter wollte Ihnen davon erzählen, um ihre Tochter zu schützen, vor allem darum.«
    »Was hat sie also gesehen?«, fragte Zerk, die Zigarette zwischen den Lippen.
    »Dieses alte Heer, Armel, das da solchen Krach verbreitet, ist ziemlich demoliert. Die Pferde und ihre Reiter sind abgezehrt, es fehlen ihnen Arme und Beine. Es ist eine Armee von Toten, halb vermoderten, schreienden und sich wild gebärdenden Toten, die den Himmel nicht finden. Versuch dir das vorzustellen.«
    »Ja«, Zerk nickte und goss sich ein neues Glas ein. »Kann ich Sie einen Augenblick unterbrechen, Commandant? Es ist 22 Uhr, ich muss die Taube versorgen. So lautet die Anweisung.«
    »Wer hat sie dir erteilt?«
    »Violette Retancourt.«
    »Dann mach.«
    Zerk hantierte gewissenhaft mit dem eingeweichten Zwieback, dem Fläschchen und der Pipette. Er begann sich sehr geschickt dabei anzustellen.
    »Es geht ihr nicht besser«, sagte er traurig zu seinem Vater. »Dieser kleine Mistkerl.«
    »Den kriege ich noch, verlass dich drauf«, sagte Adamsberg sanft.
    »Sie wollen tatsächlich gegen den Taubenkiller ermitteln?«, fragte Danglard überrascht.
    »Aber gewiss, Danglard«, erwiderte Adamsberg. »Warum nicht?«
    Danglard wartete, bis Zerks Aufmerksamkeit sich wieder auf ihn richtete, um seine Erzählung über die schwarze Armee fortzusetzen. Er war von Mal zu Mal mehr verblüfft über die Ähnlichkeit von Vater und Sohn, ihren ganz gleichen, wie ertrunkenen Blick ohne Glanz noch Schärfe, in welchem undeutlich und ungreifbar die Pupille schwamm.Außer wenn, bei Adamsberg, unversehens ein Funke darin aufglomm, wie das Sonnenlicht ihn bei Ebbe manchmal auf die Braunalgen setzt.
    »Dieses Wütende Heer schleppt immer auch ein paar lebende Männer oder Frauen mit sich, die schreien und wehklagen in Feuer und Pein. Und die sind es, die der Zeuge erkennt. Genau wie Lina den Jäger und drei andere Individuen erkannt hat. Diese Lebenden flehen darum, dass eine gute Seele ihre schändlichen Verbrechen wiedergutmacht, damit sie
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