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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Autoren: Seth Grahame-Smith
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abzuwenden. Und das Schlimmste war: Er wusste, dass er es verdient hatte.
    Der Mann mit Flügeln trat vor und nahm den Admiral behutsam in die Arme, und schon waren sie unterwegs. Unterwegs in einem Ozean aus Raum und Zeit – in dessen glänzender Oberfläche sich das ganze Universum widerspiegelte. Unterwegs zu dem Ort, an dem die Toten bis in alle Ewigkeit brannten …
    Und Maria und Josef drücken sich instinktiv mit dem Rücken an die Wand ihrer pechschwarzen Zelle und schirmen das Baby mit ihren Körpern ab, als sie hören, wie der Riegel aufgeht. Sela steht auf, fest entschlossen, bis zum Letzten zu kämpfen gegen das, was durch jene Tür kommen mag. Sie ist über und über zerschunden und blutüberströmt, ihre Hände sind mit Ketten gefesselt. Doch sie werden dieses Baby nicht kampflos bekommen. Auf keinen Fall. Das Knarzen der sich öffnenden Zellentür, und die einzelne, unmögliche Silhouette, die auftaucht. Und die Freude und das Staunen eines ganz und gar unwahrscheinlichen Wiedersehens, und das rasche Entfernen ihrer Ketten.
    Die wiedervereinten Gefährten eilten den Korridor entlang, der sich durch den Kerker wand. Sie liefen so leise wie möglich trotz des fünf Zentimeter hohen Regenwassers auf dem Boden. Auf der Suche nach einem Schimmer Tageslicht, um herauszufinden, wo sie hinmussten, und auf der Flucht vor den lauter werdenden Rufen in der Dunkelheit hinter ihnen. Jemand hatte Alarm geschlagen, und schon bald würde jeder Zugang zum Palast versiegelt sein. Sie benötigten ein weiteres Wunder, und kurzzeitig glaubte Balthasar, es wäre ihnen zuteil geworden: Tageslicht. Vor ihnen, hinter der nächsten Biegung.
    Er führte die anderen schnell und leise um die Ecke. Doch als Balthasar abbog, erstarrte er. Ein römischer Soldat mit gezücktem Schwert versperrte ihnen den Weg, das vielversprechende Tageslicht hinter ihm. Der Fackelschein des Kerkers spiegelte sich flackernd in seinem akribisch polierten Helm, Brustharnisch und Schwert. Er hatte sie erwartet.
    Pontius Pilatus.
    Balthasar stand da, sein Schwert fest mit der rechten Hand umklammert, den linken Arm ausgestreckt, um Maria und das Baby in seinem Rücken zu beschützen. Die beiden Männer starrten einander wütend an. Beides finstere, getriebene Männer. Beides Mörder. Ihre Finger wanderten zu den Griffen ihrer Schwerter, jeder wartete auf das leiseste Zucken des anderen. Wartete auf den Angriff. Doch er blieb aus.
    Als Pilatus sich überzeugt hatte, dass Balthasar ihn nicht auf der Stelle niederstechen wollte, huschte sein Blick zu den anderen Flüchtlingen: den Eltern des Babys. In Panik. Die Frau, die ihnen Unterschlupf gewährt hatte. Die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um sie zu retten, und die mindestens zwei meiner Männer eigenhändig abgewehrt hat. Und dann war da der Geist von Antiochia. Der selbst jetzt noch sein Leben aufs Spiel setzt, um sie zu schützen, obwohl er ohne Weiteres alleine hätte entkommen können.
    Pilatus stand einen Augenblick lang da – den Blick unverwandt auf Balthasar gerichtet. Auf alles, was er je gewollt hatte.
    »Fünfzig Schritte«, sagte er. »Und dann schreie ich.«
    Mit diesen Worten ließ er das Schwert sinken, ging an ihnen vorüber und verschwand in die Dunkelheit des Korridors.
    Bis zu seinem letzten Atemzug würde Pilatus nie ganz begreifen, warum er es getan hatte. Er hätte nur um Hilfe rufen müssen, dann wäre er ein Held gewesen. War es der Anblick des gefolterten Balthasar gewesen? War es der Wunsch, den Marionettenkönig von Judäa erniedrigt zu sehen? Oder lag es einfach nur daran, dass ihm die Vorstellung nicht zusagte, neugeborene Babys umzubringen?
    Was auch immer der Grund sein mochte, er hatte den Ruhm, auf den er aus war, dort zum Greifen nahe gehabt – und er hatte ihn entwischen lassen. Einfach so. Es war eine Entscheidung, die sein Leben auf unvorstellbare Art verändern würde, und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er damit konfrontiert werden würde. Gute dreißig Jahre später würde Pontius Pilatus dem Kind erneut begegnen, und zwar in Jerusalem. Und wieder würde er den seltsamen Zwang verspüren, sein Leben zu verschonen. Doch beim zweiten Mal würde er versagen.
    Die fünf Gefährten rannten aus dem zum Meer gelegenen Palasteingang auf das stürmische Grau der Terrasse, wo Regentropfen auf Marmor klatschten und ein endloses, beinahe beruhigendes Geräusch verursachten. Aufgrund des Regens und des Alarms im Innern befanden sich momentan keine Wachen auf der
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