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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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Der dunkle Kapuzenmann, der Tod, sieht uns an, das Gesicht im Schatten der Kapuze verborgen, die Sichel über der gebeugten Schulter.
    «Ach», sagt sie nur. «Bist du also endlich gekommen, mein Freund? Jacquetta, bitte deinen Onkel zu mir.»

    Ich führe ihn in ihr Gemach, wo er neben ihrem Bett niederkniet.
    Sie legt ihm die Hand auf den Kopf, als wollte sie ihn segnen. Dann drückt sie ihn sanft weg.
    «Ich ertrage dieses Wetter nicht», sagt sie gereizt zu meinem Onkel, als könnte er etwas dafür. «Wie hältst du es aus, hier zu leben? Es ist so kalt wie in England, und die Winter dauern ewig. Ich reise in den Süden, in die Provence.»
    «Bist du sicher?», fragt er. «Ich dachte, du wärst müde. Möchtest du dich nicht lieber hier ausruhen?»
    Missgelaunt schnalzt sie mit den Fingern. «Mir ist zu kalt», erwidert sie herrisch. «Bestell mir eine Eskorte. Ich lasse die Sänfte mit Fellen ausschlagen. Im Frühling komme ich zurück.»
    «Du hättest es hier viel behaglicher», wendet er ein.
    «Ich habe mir in den Kopf gesetzt, noch einmal die Rhône zu sehen», entgegnet sie. «Außerdem habe ich eine geschäftliche Angelegenheit zu regeln.»
    Niemand widerspricht ihr – sie ist die Demoiselle –, und so steht ein paar Tage später ihre große Sänfte vor der Tür, Felle liegen auf den Polstern, ein Handwärmer aus Messing ist mit heißen Kohlen gefüllt, der Boden der Sänfte mit geheizten Ziegelsteinen bestückt, und der Haushalt steht bereit, um sie zu verabschieden.
    Sie reicht Johanna die Hand, dann küsst sie meine Tante Jehanne und mich. Mein Onkel hilft ihr in die Sänfte, und sie klammert sich mit ihrer dünnen Hand an seinen Arm. «Pass gut auf die Jungfrau auf», bittet sie ihn. «Bewahre sie vor den Engländern. Das ist ein Befehl.»
    Er senkt den Kopf. «Komm bald wieder zurück.»
    Seine Frau, deren Leben leichter ist, wenn die große Dame nicht da ist, tritt vor, wickelt sie in die Felle und küsst ihre blassen, kühlen Wangen. Doch mich ruft die Demoiselle von Luxemburg mit einer Bewegung ihres mageren Fingers zu sich.
    «Gott schütze dich, Jacquetta», sagt sie zu mir. «Du wirst dich an alles erinnern, was ich dich gelehrt habe. Und du wirst es weit bringen.» Sie lächelt mich an. «Weiter, als du dir vorstellen kannst.»
    «Aber werde ich dich im Frühling wiedersehen?»
    «Ich lasse dir meine Bücher schicken», erwidert sie nur. «Und mein Armband.»
    «Und im Frühjahr besuchst du meine Eltern in St. Pol?»
    Ihr Lächeln verrät mir, dass ich sie nicht mehr wiedersehen werde. «Gott segne dich», sagt sie noch einmal und zieht vor der kalten Morgenluft die Vorhänge ihrer Sänfte zu, als sich der Trupp durch das Tor in Bewegung setzt.

    Im November erwache ich in tiefster Nacht, setze mich in dem kleinen Bett auf, das ich mir mit der Magd Elizabeth teile, und lausche. Es ist, als riefe jemand mit einer lieblichen, sehr hohen und sehr feinen Stimme meinen Namen. Dann bin ich mir sicher, dass ich jemanden singen höre. Merkwürdigerweise kommt es von draußen, direkt vor den Fenstern, obwohl wir doch hoch oben im Turm der Burg schlafen. Ich werfe mir den Umhang über das Nachthemd und gehe zum Fenster, um durch einen Spalt in den Holzläden nach draußen zu spähen. Keine Lichter sind zu sehen, die Felder und Wälder um die Burg sind so schwarz wie gefilzte Wolle, da ist nichts als diese klare Totenklage, hoch und rein wie eine Nachtigall. Keine Eule, dafür ist es zu musikalisch und andauernd, eher wie die Stimme eines Chorknaben. Ich rüttele an Elizabeths Schultern.
    «Hörst du das?»
    Sie wird nicht einmal richtig wach. «Ich höre nichts», sagt sie schlaftrunken. «Lasst das, Jacquetta. Ich will schlafen.»
    Der Steinboden unter meinen Füßen ist eiskalt. Ich steige wieder ins Bett und schiebe die kalten Füße zwischen die warmen Decken neben Elizabeth. Sie knurrt missmutig und rollt sich von mir weg. Und obwohl ich überzeugt bin, dass ich noch lange in der Wärme liegen und der Stimme zuhören werde, schlafe ich doch bald wieder ein.

    Sechs Tage später teilt man mir mit, dass meine Großtante, Jehanne von Luxemburg, in der dunkelsten Stunde der Nacht im Schlaf gestorben ist, in Avignon am großen Fluss, an der Rhône. Da weiß ich, wessen Stimme ich gehört habe, wessen Lied um die Türme erklungen ist.

    Als der englische Duke of Bedford erfährt, dass Johanna ihre größte Beschützerin verloren hat, schickt er den Richter Pierre Cauchon mit einer Truppe Männer zu
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