Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
und schüttelte es vorsichtig aus. Die feine cremefarbene Seide war im Laufe der Jahre kaum vergilbt und immer noch fast so glänzend wie an dem Tag, als sie sich zum ersten Mal darin betrachtet hatte. Auch wenn sie natürlich bei weitem nicht so makellos aussah wie die kleine Sklavin.
Sie spürte, wie sich ihr Gesicht zu einer hasserfüllten Grimasse verziehen wollte, und augenblicklich lächelte sie sich im Spiegel zu, als gelte es ihr Leben. Hass machte alt, zumindest solcher, den man offen zeigte. Ein Lächeln hingegen, sanft und schweigend, glättete sogar tiefe Falten und brachte alle Welt dazu, einem zu vertrauen, während man selbst wie die Spinne in einem Netz saß und auf den passenden Moment wartete, zuzuschlagen.
Ambrosio hätte heute fast alles verdorben, genauso, wie er es schon früher in seiner Plumpheit ruiniert hatte, doch sie hatte bereits dafür gesorgt, dass der Mönch kein Sterbenswörtchen mehr sagen würde. Ein verschwiegener Helfer hatte ihm den vergifteten Wein gebracht, und sie lächelte bei dem Gedanken, dass der Dummkopf ihn hinuntergeschüttet hatte, ohne Augen und ohne Verstand, und sich hinterher in grässlichen Todeskrämpfen gewunden hatte. Er war einfach zu dumm gewesen, das war sein Problem. Er hatte sich nicht verstellen können, und daran war er letztlich auch gestorben.
Sie zog sich rasch nackt aus und legte dann das seidene Gewand an. Um die Mitte gegürtet, betonte es die Figur auf eine Weise, die sie höchst schmeichelhaft fand. Eilig zog sie sich erneut die Lippen nach, denn sie meinte, dass der Schwung ihres Mundes noch ein wenig roten Glanz vertragen konnte.
Und nun das Wichtigste, die Krönung von allem: das Haar.
Behutsam nahm sie die Perücke aus der Truhe und setzte sie langsam und genüsslich auf. Das feine seidige Haar, silbernes Blond von Mutter und Tochter, zu einem prachtvollen Schmuck geknüpft, mit dem sie ihre wahre Bestimmung dokumentieren konnte, eine schöne, gefällige Hure zu sein, so begehrenswert und anschmiegsam, dass es alle Männer um den Verstand brachte.
Bedächtig strich sie das Haar zurecht und nahm dabei mit leichtem Missfallen zur Kenntnis, dass es in all den Jahren ein wenig an Glanz verloren hatte. Doch das fiel nur bei Tageslicht auf. Bei Kerzenschein leuchtete es immer noch mit frappierender Intensität und betonte den Farbton ihrer Augen und das Rot ihres geschürzten Mundes.
Beschwingt ging sie anschließend auf den dunklen Gang hinaus. Im Zimmer des alten Mannes brannten genug Kerzen, sie hatte vorhin dafür gesorgt, dass es dort ausreichend hell war. Schließlich sollte er sie sehen, das war ja Sinn der ganzen Sache.
Wie erwartet, fing er sofort an zu stöhnen und sabbern, als sie ins Zimmer trat. Ach, wie herrlich es doch war, ihn jedes Mal so außer Fassung geraten zu sehen!
»Da bin ich«, sagte sie, sich geziert vor ihm hin und her drehend, mit beiden Händen über das Seidenkleid streichend. »Gefalle ich dir, Vater?«
Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante und verzog angewidert das Gesicht, als sie den scharfen Uringeruch wahrnahm. »Du hast dich nass gemacht!«
Sie wollte Rufio rufen, doch dann fiel ihr ein, dass er nicht kommen konnte. Sonst war niemand im Haus, sie hatte alle Dienstboten weggeschickt.
Eine Träne lief aus dem rechten Auge des Alten, und er keuchte und ächzte mit halb offenem Mund.
»Du musst dich nicht schämen«, sagte sie freundlich. »Mir sind doch alle deine Körpersäfte bekannt. Zwischen uns gibt es weder Ekel noch Widerwillen, nicht wahr?«
Sie beugte sich vor und küsste den Alten, küsste ihn hart und gierig, bis ihm die Luft wegblieb und er anfing, zu würgen.
Lächelnd lehnte sie sich zurück. »Zu viel? Nein, wirklich? Gab es das je zwischen uns, ein Zuviel? Ich erinnere mich gar nicht.«
Der alte Mann stieß ein schauriges Geräusch aus, das tief aus der Brust kam und sich anhörte wie das Winseln von tausend armen Seelen im Fegefeuer.
Mitleid wollte sich in ihr Herz stehlen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Wir müssen es zu Ende bringen. So wie es sich gehört. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Bisher habe ich nur getändelt, das weißt du. Auf diesen Tag hingearbeitet, Jahr für Jahr. Gewartet und mich darauf vorbereitet, weil ich es erst tun wollte, wenn es sich richtig für mich anfühlt. Heute ist es so weit.«
Sie schlug langsam die Decke zurück, die den alten Mann bedeckte, dann rollte sie ihn herum, bis er auf der Seite lag und sie zu ihm kriechen konnte.
»Lass uns
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