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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune
Autoren: Nicolas Remin
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gegen die Wand. Dann
krümmte er sich zusammen, drehte sich noch einmal um seine
Achse und ging in einer ballettartigen Pose zu Boden. Es war
vorbei.

55
    Tron beugte sich
über den Teller und schloss die Augen, um sich auf den Geruch
der warmen Äpfel zu konzentrieren, der von der Tarte
Eleonore aufstieg. Die Apfelscheiben auf
der Torte hatten eine satte, hellbraune Farbe, an den Rändern
waren sie knusprig (aber nicht angebrannt), und der Koch der
Principessa hatte sie spiralförmig auf einem luftigen
Blätterteig arrangiert. Nippte man, nachdem man einen Bissen
zum Munde geführt hatte, an einem Glas mit
eisgekühltem Cliquot, ließ das Leben
ein paar flüchtige Augenblicke lang nichts mehr zu
wünschen übrig.
    Und das hatte er sich,
fand Tron, durchaus verdient. Der Bericht für den
Polizeipräsidenten, heute Vormittag in der Questura verfasst,
hatte ihn drei Stunden harter Arbeit gekostet, aber Spaur
würde ihn ohne große Korrekturen an den
Stadtkommandanten Toggenburg weiterleiten können. Die
Geschichte, die der Bericht erzählte, stimmte von vorne bis
hinten nicht. Sie las sich jedoch plausibel und war so formuliert,
dass niemand sein Gesicht verlor - auf mehr kam es im Grunde nicht
an. Das Wort Gral tauchte an keiner Stelle auf.
Stattdessen hatte Tron ausführlich den labilen
Gesundheitszustand Lodrons geschildert und die
Möglichkeit einer progressiven
Paralyse angedeutet. Diese hätte, so
der Bericht, zwangsläufig zu einer Reihe von Unfällen
geführt, genauer gesagt, zum Hinscheiden Petrellis,
Marchmains, Flytes, der Albertis und schließlich zu Lodrons
eigenem Tod.
    Tron häufte sich
eine weitere Portion Tarte Eleonore auf den Teller, winkte
Moussada, ihm ein wenig Cliquot nachzuschenken, und lehnte sich
auf seinem Stuhl zurück. Heute Morgen hatte tatsächlich
ein Hauch von Frühling über der Piazza San Marco gelegen.
Der Sonnenschein hatte Einheimische und Fremde gleichermaßen
hinausgetrieben und ganze Scharen von Maronen- und
Frittoliniverkäufern aus ihren Winterquartieren gelockt. Auch
die Tauben, die sich in den letzten Wochen auf kniehohes Geflatter
beschränkt hatten, waren wieder munter in den Himmel geflogen,
und Tron dachte unwillkürlich an die Verse des Leutnants aus
dem Militärarchiv, die ihn gestern erreicht hatten. Leutnant
Haeger war nicht der lächerliche Freizeit-Reimeschmied,
für den ihn Tron in Verona gehalten
hatte:    
      
 
Die Tauben von San Marco seh ich
wieder:
Still ist der Platz, Vormittag ruht darauf.
In sanfter Kühle schick ich müßig Lieder
Gleich Taubenschwärmen in das Blau hinauf...
    Das war nicht
schlecht, und Tron musste sich eingestehen, dass er den Leutnant
unterschätzt hatte - und ebenso die Informationen, die sie im
Militärarchiv von ihm erhalten hatten. Er nahm sich vor, ihm
in den nächsten Tagen zu schreiben.
    «Und was hat
Spaur zu der ganzen Geschichte gesagt?», erkundigte sich die
Principessa. Sie warf einen amüsierten Blick auf Trons Tarte
Eleonore und das schon wieder zur
Hälfte geleerte Champagnerglas. «Dass einer seiner
Beamten den Sonderbeauftragten des Kaisers erschossen hat»,
fuhr sie fort, «kann ihm unmöglich gefallen
haben.»
    Tron legte die
Kuchengabel neben seinen Teller. «Was sollte Spaur groß
sagen? Der Fall ist so klar, wie er nur sein kann. Wir haben in
Lodrons Suite im Danieli massenhaft Beweise gefunden. Der Hofrat
hat ein minutiöses Tagebuch geführt. Er hat sich das
Geld, das er Petrelli für den Einbruch im Palazzo Tron bezahlt
hat, sogar quittieren lassen. Die Quittung war in einer Mappe mit
der Aufschrift Spesenabrechnungen.»
    «Lodron hat sich
also ziemlich sicher gefühlt.»
    Tron nickte.
«Das kann man wohl sagen. Speziell unter dem Schutzschirm der
kaiserlichen Sondervollmachten. Natürlich werden sie die
Geschichte sorgfältig unter der Decke halten. Keine Bulletins
an die Presse, gar nichts.»
    «Hat sich Wien
eingeschaltet?»
    «Offenbar», sagte
Tron. «Stadtkommandant Toggenburg hat heute Morgen einen
Oberleutnant aus seinem Stab in die Questura geschickt, der wissen
wollte, ob die Splitter des Glases noch
existieren.»
    «Und?»
    «Wir hatten sie
natürlich noch. Die Splitter des Glases, in dem du deine
Haarnadeln aufbewahrt hast. Der Oberleutnant hat sie mitgenommen
und angedeutet, dass sie sofort mit einem Kurier nach Wien
geschickt werden.»
    «Also kann der
Kaiser jetzt über den Resten des Grals meditieren»,
meinte die Principessa.
    Tron nickte.
«Jeder einzelne Splitter eine
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