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Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Titel: Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Autoren: Kjell Ola Dahl
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eigenen angstvollen Blick im Spiegel. Dann umfasste sie noch einmal mit beiden Händen ihre Brust.
    Tastete erneut. Ja, sie hatte richtig gefühlt. Da war ein Knoten.
    Zum Vergleich tastete sie ihre rechte Brust ab. Diese war ganz weich, keine Verhärtung.
    Lena war plötzlich wieder genauso heiß wie nach der Skitour. Der Dampf und die Stille in ihrem Kopf nahmen ihr den Atem. Sie öffnete die Tür zum Flur, ging nackt ins Wohnzimmer und starrte eine Weile ins Leere. Bilder flimmerten durch ihren Kopf.
    Sie sah ihren geliebten Vater, der im Laufe weniger Wochen alle möglichen Nebenwirkungen einer Chemotherapie bekommen hatte: enormen Gewichtsverlust und eine Lungenentzündung nach der anderen, bis er die Kontrolle über seine Beine verlor. Er bekam eine Infektion und Probleme mit den Zähnen, schließlich verlor er auch noch seine Haare, bis nur noch wenige Strähnen an seinem Kopf herabhingen, die er sich trotzig nach hinten kämmte. Ihr Vater hatte sich in einen Schatten seiner selbst verwandelt. Er war gefangen in den Krallen des Todes, die ihn zerquetschten und seinen mageren Körper quälten und ihn mit jedem Tag, den er durchlitt, dem Ende etwas näher brachten.
    Lena war jetzt fast ebenso kalt, wie ihr vorher heiß gewesen war.
    War das möglich? Dass man einfach seine Brust berührte, und schon stand das ganze Leben auf dem Kopf?
    Nein, sagte sie sich, ich bin stark! Sie starrte ihr Spiegelbild im Fenster an. Ein geschmeidiger Körper, durchtrainiert und muskulös.
    Ja, sie war stark, aber was würde in ein paar Monaten sein? Wenn ihr Körper geschwächt wäre von Bestrahlung und Chemotherapie und keine Immunabwehr mehr besaß?
    Sie sank auf einen Sessel und ermahnte sich: Bleib ruhig. Es kann auch ein ungefährlicher Fettknoten sein, oder ein Splitter, auf den du mit vier Jahren getreten bist, der sich eingekapselt hat und im Körper umhergewandert ist und jetzt an einer völlig anderen Stelle wieder auftaucht . Plötzlich war sie sich sicher. Das war die Erklärung. Genau das war nämlich schon einmal passiert, als sie sechzehn war und einen Knoten am Arm hatte.Nach ein paar Wochen hatte sie ein ungefährliches, winziges Sandkorn herausgepult.
    Plötzlich schienen ihr all die Gedanken an Krankheit absurd. Sie war gesund. Es gab keinen Knoten. Es konnte einfach nicht sein. Es musste etwas anderes sein.
    Sie ließ ihre Finger aufmerksam die linke Brust entlangwandern und fühlte nichts. Wurde übermütig und drückte fester zu. Da spürte sie ihn wieder, aber er war klein – klitzeklein. Eine winzige Verhärtung. Sie sah auf, sah sich plötzlich wieder im Spiegel der Fensterscheibe und ertappte sich bei einem Selbstbetrug.
    Am ganzen Körper glühend, stand sie auf und zog sich an. Ihr Körper hatte auf Autopilot geschaltet. Sie ging hinunter in den Kellerverschlag und holte den Karton mit dem Weihnachtsschmuck. Wieder im Wohnzimmer kramte sie Weihnachtsmänner und Kerzenhalter heraus, während sie an etwas ganz anderes dachte. Hier sitze ich mit einer Weihnachtsfrau in der Hand . Lena betrachtete das schrumplige Gesicht und dachte: Herrgott noch mal, was tue ich denn hier ?
    Sie ließ die Weihnachtsfrau wieder in die Kiste fallen und ging in die Küche. Im untersten Fach des Kühlschranks standen acht kleine Flaschen Sekt und Prosecco. Ihre Freunde wussten, dass Lena Perlwein mochte und ihn in kleinen Flaschen sammelte. Sie brachten sie ihr als Geschenk mit, wenn sie ins Ausland reisten. Lena betrachtete die Auswahl und entschied sich für einen Prosecco. Sie las das Etikett: Villa Sando Fresco , öffnete die kleine Flasche und goss sich ein Sektglas ein. Anschließend holte sie die Packung mit den Crackern aus dem Schrank und dazu Käse. Chèvre. Der Käse unter der Käseglocke hatte seine besten Tage hinter sich. Aber mit Honig und Nüssen war es der herrlichste Luxus der Welt. Drei dünne Cracker, auf jedem ein Stück Chèvre, jedes Stück Käse mit einer Haselnuss verziert, die wiederum mit Honig glasiert war.
    Sie drapierte alles auf einem Teller und trug ihn ins Wohnzimmer. Zappte durch die Kanäle. Ernste Männergesichter redeten – schnell ein neuer Kanal. Eine Reality-Show mit blonden Mädchen, die tiefe Dekolletees entblößten …
    Aber Lena wollte etwas Lustiges sehen. Sie stand auf und ging ins Schlafzimmer, wo das Regal mit den DVDs stand. Ihr Blick fiel auf Das Piano . Sie liebte diesen Film. Die Beziehung zwischen der stummen Ada und dem tätowierten George lebte von Begehren und
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