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Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Titel: Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Autoren: Kjell Ola Dahl
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anderen Cover? Wir reden von Tom Waits«, sagte Emil. »So behandelt man keinen Tom Waits.« Er suchte weiter im Handschuhfach. Die Ampel sprang auf Grün, und Lena legte den Gang ein.
    »Was ist das denn«, fragte Emil Yttergjerde, als sie wieder schaltete, abbog und die Straßenbahnschienen überquerte.
    Lena zuckte zusammen. »Leg das weg«, sagte sie schnell. »Das ist ein Pfefferspray.«
    »Das ist aber gefährlich«, sagte Emil.
    »Genau deshalb sollst du es ja weglegen!«
    Lena lenkte den Wagen in Richtung Rådhusbrygga, wo schon ein Streifenwagen und ein gelber Rettungswagen standen.
    Sie hielt an und zog die Handbremse. Dann nahm sie Emil das Pfefferspray aus der Hand. »Wo ist der Deckel?«
    »Der war nicht drauf.«
    »Her mit dem Deckel!«
    »Ich sage doch, der war nicht drauf!«
    Lena packte das Spray weg, öffnete die Tür und stieg aus. Die Kälte traf ihren Körper wie eine Wand. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie auf die beiden uniformierten Polizisten zu ging, die dabei waren, Absperrpfosten aufzustellen und das Absperrband zu befestigen. Zwei weitere Kollegen bewegten einen gelben Kran den Kai entlang.
    Lena stieg über das Absperrband. Sie kam an einem Häuschen vorbei und trat an die Kaikante. Der Motor des Krans miaute. Ein Mann im Taucheranzug stand auf einem Rettungsfloß und befestigte ein Seil unter den Armen eines offenbar leblosen Mannes, der an der leicht vereisten Wasseroberfläche schwamm.
    Einer der Jungs aus dem Rettungswagen tippte ihr auf die Schulter. »Sieht so aus, als wär’n Sie hier der Chef?«
    Sie nickte.
    »Er ist tot, und das schon eine Weile. Für uns gibt’s hier nichts zu tun, wir hauen dann mal ab.«
    Sie nickte wieder. »Okay.«
    Der Rettungswagen fuhr davon.
    Als der Kran die Leiche aus dem Wasser hob, schlug der steife Körper gegen die Kaimauer, und der Kranführer fluchte.
    Eine Straßenbahn verließ langsam die Haltestelle am alten Westbahnhof und verschwand hinter den spitzen Dächern der Zelte auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus, der wie ein weihnachtlich erleuchtetes Dorf aussah.
    Wieder fluchte der Kranführer. Der Körper stieg höher und drehte sich in der Luft. Die Jacke des Toten hing an den Seiten herunter wie schwere Flügel. Von der Kleidung tropfte Wasser, das sofort zu Eiszapfen gefror. Der Mann an der Winde brüllte, jemand sollte mit anfassen. Behandschuhte Hände wurden in die Luft gestreckt. Sie reichten nicht hinauf. Der Körper hing zu hoch.
    »Tiefer, tiefer, tiefer«, flüsterte Lena dem Kranführer zu.
    Langsam schwebte die Leiche zu Boden. Emil Yttergjerde griff nach dem Tau und drehte den Körper auf den Rücken. Sie konnten zusehen, wie das Wasser auf dem Gesicht des Toten zu Eis gefror. Ein glasiertes Gesicht, das einem jungen Mann mit kurzem blondem Haar gehörte. Lena kniete sich hin und untersuchte die Hände. Kein Ehering, aber eine teure Armbanduhr am linken Handgelenk: ein Chronometer von Tissot, das immer noch tickte. Es war neun Uhr geworden.
    Aus der Ferne klang Chorgesang in Wellen durch die Dämmerung herüber. Lena stand auf und sah sich um. Hinter den Zäunen, zwischen den Zelten des Weihnachtsmarkts, konnte sie eine Gruppe von Nonnen erkennen, die für die ersten Morgengäste eine Hymne sangen. Ganz in Schwarz. Sie erinnerten an Krähen.
    Hinter der Absperrung hatte sich eine Gruppe von Schaulustigen versammelt. Eine Kamera blitzte auf.
    »Abendgarderobe bei 25 Grad unter null«, murmelte Emil und fügte erklärend hinzu: »Auf dem Weg nach Hause voneiner Weihnachtsfeier, besoffen, und dann an die Kaimauer getreten, um zu pinkeln.«
    Lena kniete sich wieder hin, durchsuchte die feuchten Taschen und fand einen Schlüsselbund. In der Innentasche des Jacketts steckte eine Brieftasche.
    Sie öffnete das steif gefrorene Leder. Musste sich die Handschuhe ausziehen. Hauchte in ihre Fäuste und untersuchte die EC-Karte: Der Besitzer hieß Sveinung Adeler , dem Geburtsdatum zufolge war er 31 Jahre alt. Die Brieftasche enthielt auch ein Rezept für eine Kortisonsalbe und ein Bündel Geldscheine, das aus irgendeinem Grund noch nicht zu einem Eisblock gefroren war. Lena zählte eintausendzweihundert Kronen.
    Der Tote war groß, schlank und wohlproportioniert. Zwei Jahre jünger als ich, dachte Lena. Der Kerl hat vielleicht gestern im gleichen Bus wie ich gesessen – oder im selben Fitness-Studio trainiert und geschwitzt.
    Einfach nur traurig, dachte sie und schauderte. Die Nonnen hörten endlich auf zu singen. Es
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