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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman
Autoren: Ken Follett
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Und ich denk‘ mir unterwegs was aus.
    Mario schüttelte den Kopf. »Nee, lieber nicht, nach allem, was Lenny gesagt hat. Nee, ich nehm‘ niemanden mit, nicht in dem Laster. Deshalb bin ich ja mit meinem eigenen Wagen gekommen, damit ich dich in die Stadt zurückbringen kann.«
    Und was soll ich jetzt tun, um Himmels willen?
    »Was … äh, was meinst du, Ricky, he? Kommste mit?«
    Und wie geht‘s dann weiter?
    Priest hatte sich in Gedanken ein Luftschloß gebaut, das sich nun in der sanften Brise von Marios schlechtem Gewissen auflöste wie eine Rauchwolke. Geschlagene zwei Wochen hatte er in dieser heißen, staubigen Steppe ausgeharrt und seine Zeit mit einem ebenso dämlichen wie unnützen Job vertan. Hunderte von Dollars hatte er für Flugtickets, Motelrechnungen und ekelhaftes Fast food ausgegeben – alles umsonst.
    Zeit, noch einmal von vorn anzufangen, hatte er nicht.
    Ihm blieben nur noch zwei Wochen und ein Tag.
    Mario runzelte die Stirn. »Komm jetzt, Mann, gehen wir.«
    »Ich weigere mich, hier alles aufzugeben«, hatte Star an jenem Tag, da der Brief eintraf, zu Priest gesagt. Sie saß neben ihm auf einem Teppich aus Kiefernnadeln am Rande des Weinbergs; es war die Zeit der Nachmittagsruhe. Sie tranken kühles Wasser und aßen Rosinen, die aus Trauben der letzten Lese hergestellt waren. »Das hier ist nicht irgendein Weingut, nicht irgendein Tal, nicht irgendeine Kommune. Das hier ist mein ganzes Leben. Wir sind vor all diesen Jahren hierher gezogen, weil wir der Meinung waren, daß die Gesellschaft, die unsere Eltern geschaffen hatten, total verkorkst, vergiftet und korrupt war. Und wir hatten recht, verdammt noch mal!« Sie ließ ihrem Zorn freien Lauf, ihr Gesicht rötete sich, und Priest gestand sich ein, daß sie – immer noch – sehr schön war. »Sieh dir doch bloß an, was in der Welt da draußen los ist!« fuhr sie mit erhobener Stimme fort. »Gewalt, Gemeinheit und Umweltverschmutzung; Präsidenten, die lügen und Gesetze brechen; Unruhen, Verbrechen und Armut. Wir haben hier die ganze Zeit über in Frieden und Harmonie gelebt, Jahr um Jahr, ohne Geld, ohne sexuelle Eifersucht, ohne konformistische Regeln. All You Need is Love war unsere Devise, und man hat uns naiv genannt – aber wir hatten doch recht und alle anderen nicht! Wir wissen , wie man leben muß, wir haben es doch bewiesen.« Sie sprach jetzt sehr präzise, und ihre Worte verrieten ihre Herkunft aus altem Geldadel. Ihr Vater entstammte einer wohlhabenden Familie, hatte jedoch sein ganzes Berufsleben als Arzt in einem Slum verbracht. Star hatte seinen Idealismus geerbt. »Ich werde alles tun, was zur Rettung unserer Heimat und unseres Lebensstils erforderlich ist«, sagte sie. »Ich will, daß unsere Kinder hier weiterleben können, und dafür bin ich sogar bereit, zu sterben.« Ihre Stimme wurde leiser, doch ihre Worte waren klar, und ihre Entschlossenheit gnadenlos. »Und ich gehe dafür über Leichen. Hast du mich verstanden, Priest? Ich bin zu allem bereit .«
    »Hörst du mir überhaupt zu, Mann?« fragte Mario. »Soll ich dich in die Stadt bringen, oder willst du hierbleiben?«
    »Doch, doch …«, erwiderte Priest. Und ob ich mitkomme, du feiges Miststück, du Hosenscheißer, du abscheulicher …
    Mario drehte sich um.
    Priests Blick fiel auf die große Rohrzange, die er ein paar Minuten zuvor hatte fallen lassen.
    Und auf einmal hatte er einen Plan.
    Mario ging auf seinen Wagen zu; es waren kaum mehr als drei Schritte. Priest bückte sich und hob die Rohrzange auf.
    Sie war aus Stahl, ungefähr fünfundvierzig Zentimeter lang und wog vielleicht vier Pfund. Am schwersten war der Kopf mit den justierbaren Zangen für große Sechskantmuttern.
    Priest blickte an Mario vorbei auf den Weg, der zur Hauptstraße führte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
    Keine Zeugen.
    Als Mario die Tür seines Pickups erreichte, trat Priest einen Schritt vor.
    Eine verwirrende Vision überkam ihn: Er sah ein Foto von einer jungen, hübschen Mexikanerin im gelben Kleid. Sie trug ein Kind im Arm, ein zweites stand neben ihr. Für Sekundenbruchteile spürte Priest das niederschmetternde Leid, das er über diese junge Familie bringen würde, und schwankte in seiner Entschlossenheit.
    Doch dann verblaßte die Vision und wich einer schlimmeren: Da war ein Teich, dessen schwarzer Wasserspiegel unaufhaltsam stieg. Schon umschloß er den Weinberg mit den liebevoll gehegten Reben, und alle Männer, Frauen und Kinder, die dort arbeiteten, kamen
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