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Die Juweleninsel

Die Juweleninsel

Titel: Die Juweleninsel
Autoren: Karl May
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habe.«
    »Und ich,« fiel die Kleine ein, »habe erst vorhin mit ihm eine Partie Sechsundsechzig gespielt, die er verloren hat, weil ihn, wie er sich entschuldigte, meine süße entzückende Nähe verwirrt. Er ist sehr liebenswürdig, dieser Herr Lieutenant von Wolff!«
    »Ja, sehr, sehr!« stimmte die Lange mit einer gewissen Ironie bei. »Nur meine ich, daß – aber seht doch einmal dieses allerliebste kleine Genrebildchen!«
    »Genrebildchen? Wo denn?«
    »Gleich hier am Wasser. Aber mein Gott, das ist ja unser Magdalenchen!«
    »Wahrhaftig, unser Mädchen!« stimmten die Andern bei und eilten rasch vorwärts.
    Der Weg, welchem sie folgten, endete an einem schmalen, auf drei Seiten von dichten Büschen umgebenen Einschnitte des Wassers. Dort lag ein Boot angebunden, dessen Segelstange niedergelegt worden war. Am Hintertheile saß ein Knabe, in einen grauleinenen Seemannsanzug gekleidet und einen Südwester, unter welchem eine Fülle blonder Locken hervorquoll, auf dem Kopfe. Er mochte ungefähr vierzehn Jahre zählen und hatte seine ganze Aufmerksamkeit einem etwa zehnjährigen Mädchen zugewendet, welches auf der vorderen Bank Platz genommen hatte und mit Angeln beschäftigt war. Dieses Mädchen war ein allerliebstes reizendes Geschöpfchen, und die außerordentliche Beweglichkeit, mit welchem es seiner gegenwärtigen Beschäftigung oblag, diente jedenfalls nicht dazu, einen großen Fang zu machen.
    »Also wie heißt Du?« frug die Kleine. »Ich habe Deinen Namen bereits wieder vergessen.«
    »Kurt.«
    »Und wie noch?«
    »Schubert.«
    »Also Kurt Schubert! Höre, Du gefällst mir. Du hast so ein lichtes Haar und doch so pechrabenschwarze Augen. Und Kraft und Gewalt hast Du fast so viel wie mein Papa.«
    »Wer ist denn Dein Papa?«
    »Mein Papa? Das ist der tapfere General Helbig, der jüngst ganz Süderland erobert hat. Da kannst Du Dir nun wohl denken, daß er sehr stark sein und eine außerordentliche Force besitzen muß!«
    »Ja aber kann er denn auch ein Boot regieren?«
    »Natürlich! Ich habe es zwar noch nicht gesehen, aber er kann Alles.«
    »Und auch segeln?«
    »Auch! Aber am Besten können das meine Tanten.«
    »Deine Tanten? Müssen bei Euch auch die Tanten segeln lernen?«
    »Allerdings, denn der Papa sagt sehr oft, wenn sie spazieren gehen: ›Gott sei Lob und Dank, da segeln sie hin!‹ Sie müssen also das Segeln verstehen. Hast Du sie schon einmal gesehen?«
    »Das weiß ich nicht, denn ich kenne sie ja nicht.«
    »O, die sind sehr leicht zu erkennen: Die Eine ist lang und trägt eine Katze; die Andere ist klein und dünn und trägt ein Meerschweinchen, und die Dritte ist dick und hat ein Eichkätzchen.«
    »Ah, das also sind Deine Tanten! Die habe ich gesehen; sie sind ja im ganzen Orte bekannt. Heißen Sie auch Helbig, wie Dein Papa?«
    »Freilich, denn sie sind ja seine Schwestern. Außerdem heißen sie noch Freya, Wanka und Zilla; aber der Kunz sagt statt dessen Schreia, Zanka und Brülla.«
    »Wer ist dieser Kunz?«
    »Das ist unser Leibdiener, den ich sehr lieb habe und Papa auch; aber die Tanten zanken sich immer mit ihm, und dann wird er wüthend, geht auf sie los und – reißt wieder aus.«
    »Ah, dann hat er wohl keinen rechten Muth?«
    »Muth? Ganz gewiß so viel wie Papa selbst, aber er darf sich ja doch nicht an den Schwestern seines Herrn vergreifen; allein nur darum reißt er aus. Hast Du auch einen Papa, drei Tanten und einen Leibdiener?«
    »Eine Mutter habe ich und einen Stiefvater, dann vier Schwestern, und der Diener bin ich selber.«
    »Du? Warum?«
    »Weil ich Alles machen muß. Und dennoch bekomme ich sehr viel Schläge und dazu weniger zu essen als die Andern.«
    »Schläge? Du?« frug das Mädchen halb verwundert und halb verächtlich.
    »Ja. Ich muß die Netze legen und die Herrschaften rudern, und wenn ich zu wenig gefangen oder zu wenig verdient habe, so erhalte ich Schläge.«
    »Du Armer! Wie viel denn?«
    »Sie thun weh, aber ich zähle sie nicht,« antwortete er stolz. »Wenn ich nach Hause komme, ist der Vater stets betrunken. Ich könnte mich wehren, oder ich könnte auch fortgehen, aber dann würde die Mutter weinen, und das soll sie doch nicht. Eigentlich verdiene ich die Schläge, denn ich gebe dem Vater nicht Alles, was ich verdiene, sondern ich nehme etwas für die Mutter weg, sonst müßte sie hungern.«
    »Mein Gott, liebe Wanka, hörst Du es? Ist das nicht ein Rabenvater?«
    Dieser Ruf erscholl hinter den nächsten Sträuchern, wo die drei Schwestern
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