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Die Jury

Titel: Die Jury
Autoren: John Grisham
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damit, von der Wilbanks-Norm abzuweichen. Ich entschied, nicht wie meine Mutter zu werden, weil sie ständig die Stirn runzelte und auf den Rest der Welt hinabsah. Und mein alter Herr war viel zu sehr damit beschäftigt, das Leben zu genießen. Also dachte ich mir: Zum Teufel auch – ich will ebenfalls Spaß haben.«
    Jake streckte sich und schloß die Augen.
    »Nervös?« fragte Lucien.
    »Ich möchte nur, daß es vorbei ist.«
    Das Telefon klingelte erneut, und diesmal nahm Lucien ab. Er horchte eine Sekunde lang und legte den Hörer wieder auf die Gabel.
    »Nun?« drängte Harry Rex.
    Jake hob den Kopf und sah Lucien an. Er war soweit.
    »Der Anruf kam von Jean Gillespie. Die Geschworenen haben eine Entsche idung getroffen.«
    »O mein Gott«, hauchte Jake und rieb sich die Schläfen.
    »Hören Sie mir gut zu«, sagte Lucien eindringlich. »Millionen von Menschen sehen, was gleich geschieht. Bleiben Sie ruhig. Legen Sie sich Ihre Worte sorgfältig zurecht.«
    »Was ist mit mir?« Harry Rex stöhnte. »Ich muß kotzen.«
    »Ich finde es sonderbar, daß ausgerechnet Sie mir einen solchen Rat geben.« Jake knöpfte Stans Jacke zu.
    »Ich habe eine Menge gelernt. Zeigen Sie guten Stil. Wenn Sie gewinnen, so seien Sie vorsichtig bei den Gesprächen mit der Presse. Vergessen Sie nicht, der Jury zu danken. Wenn Sie verlieren...«
    »Wenn Sie verlieren, so nehmen Sie die Beine in die Hand«, sagte Harry Rex. »Bestimmt stürmen die Schwarzen das Gerichtsgebäude.«
    »Ich fühle mich schwach«, ächzte Jake.
    Agee stieg die Treppe hoch und gab bekannt, die Jury sei nun bereit, das Urteil zu verkünden. Er bat um Ruhe, und sofort verklangen die Sprechchöre. Die Demonstranten schoben sich näher. Agee forderte sie auf, niederzuknien und zu beten. Die riesige Gemeinde gehorchte und betete hingebungsvoll. Alle Männer, Frauen und Kinder auf dem Rasen verneigten sich vor Gott und flehten ihn an, Carl Lee als freien Mann heimzuschicken.
    Die Soldaten standen in dichter Formation und hofften ebenfalls auf einen Freispruch.
    Ozzie und Moss Junior wiesen die Zuschauer im Gerichtssaal an, sich zu setzen. Sie sorgten dafür, daß Deputys und Reservisten an den Wänden und im Mittelgang Aufstellung bezogen. Jake trat ein und blickte zu Carl Lee hinüber, der am Tisch der Verteidigung wartete. Dann sah er zum Publikum. Einige Personen beteten, andere knabberten an ihren Fingernägeln. Gwen wischte sich Tränen aus den Augen. Lester wirkte besorgt. Die Kinder waren verwirrt und verängstigt.
    Noose nahm seinen Platz ein, und seltsame Stille breitete sich aus. Draußen erklang jetzt kein Geräusch mehr. Zwanzigtausend Schwarze knieten wie Moslems. Die allgemeine Anspannung wuchs.
    »Man hat mir mitgeteilt, daß die Geschworenen ein Urteil gefällt haben. Stimmt das, Gerichtsdiener? Gut. Die Jury wird gleich hereingeführt, aber vorher möchte ich die Anwesenden auf folgendes hinweisen: Ich dulde keine Gefühlsausbrüche. Wer die Ordnung im Saal stört, wird vom Sheriff abgeführt. Nötigenfalls lasse ich den Gerichtssaal räumen. Holen Sie jetzt die Geschworenen, Gerichtsdiener.«
    Die Tür öffnete sich, und eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bevor die erste Geschworene – Eula Dell Yates tränenüberströmt hereinkam. Jake ließ den Kopf hängen. Carl Lee starrte mit steinerner Miene zum Porträt von Robert E. Lee, das über Noose hing. Die übrigen Jurymitglieder schritten zur Geschworenenbank; sie wirkten nervös, unruhig und erschöpft. Die meisten hatten geweint. Jake glaubte zu spüren, wie ihm etwas den Hals zuschnürte. Barry Acker hielt einen Zettel in der Hand, und alle Blicke richteten sich darauf.
    »Meine Damen und Herren, haben Sie sich auf ein Urteil geeinigt?«
    »Ja, Sir«, antwortete der Obmann mit zittriger Stimme.
    »Bitte reichen Sie es der Protokollführerin.«
    Jean Gillespie nahm den Zettel entgegen und gab ihn dem Richter, der ihn stundenlang zu betrachten schien. »In verfahrenstechnischer Hinsicht gibt es nichts daran auszusetzen«, sagte er schließlich.
    Weitere Tränen strömten über Eula Dells Wangen, und nur ihr Schluchzen war zu hören. Jo Ann Gates und Bernice Toole betupften ihre Augen mit Papiertaschentüchern. Das Weinen konnte vieles bedeuten. Jake hatte sich vorgenommen, die Jury zu ignorieren, bis das Urteil verlesen wurde. Bei seinem ersten Prozeß hatten die Geschworenen gelächelt, als sie ihre Plätze einnahmen, und daraufhin hatte Jake nicht an einem Freispruch gezweifelt. Einige
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