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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz
Autoren: Carlos Fuentes
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am Parque Almendares in Havanna – eingetroffen, das herrlich süße Eierkonfekt zusammen mit dem mannigfaltigen mexikanischen Zuckerwerk, das Laura bei Ce-laya in der Avenida Cinco de Mayo kaufte, zweifarbiges Milchgelee, Marzipanbrote und Süßkartoffeln, kandierte Pfirsiche, Ananasstücke, Feigen, Kirschen und Aprikosen. Und zum Frühstück aß sie Chilaquiles – Tortillas mit grüner Soße –, Rühreier, gebratene Tortillas mit Hühnerfleisch, Kopfsalat und frischen Weißkäse, Spiegeleier mit Pfeffersoße, und dazu probierte sie die Vielzahl der mexikanischen Brot- und Brötchensorten, Bolillo und Telera, Cemita, Polvorön, Concha und Chilindrina.
    Sie ordnete ihre Negative, erledigte Aufträge von Kunden, die ihre klassischen Fotos bestellt hatten, bereitete Bücher vor und war so mutig, Schriftsteller der neuen Generation um Vorworte zu bitten: Salvador Elizondo, Sergio Pitol, Elena Poniatowska, Margo Glantz und die jungen Autoren der mexikanischen »neuen Welle«, José Agustïn und Gustavo Sâinz. Diego Rivera war 1957 gestorben, tot waren auch Manuel Rodriguez Lozano, Maria Izquierdo und Alfonso Michel, Maler, die sie persönlich kennengelernt hatte und die ihre Bildsprache beeinflußten (das reine, brutale Schwarz, Weiß und Grau des erstgenannten, die falsche Naivität der zweiten, die Klugheit und das Staunen, die die Farben des dritten bekundeten), überlebt hatten allein jene zwei Riesen, die sich so sehr voneinander unterschieden: Siqueiros, der »oberste Oberst«, der drohend die geballten Fäuste erhob gegen den Geschwindigkeitsrausch, den Lobpreis einer sich beschleunigenden Welt, und der schöne, verschmitzte, schweigsame Tamayo mit seinem Haupt, das ein Ebenbild des Vulkans Popocatépetl war. Es gab nicht viel, woran man sich halten konnte. Außer an Gedächtnis und Willenskraft. Nacheinander verschwanden die Hüter der gemeinsamen Erinnerungen.
    An einem trockenen, regenlosen Abend des so schönen mexikanischen Herbstes klingelte jemand an Lauras Tür. Sie machte auf, und es fiel ihr schwer, die schwarzgekleidete Frau wiederzuerkennen. Als erstes fiel ihr das dunkle, geschmackvolle teure Kostüm auf, als sollte es auf eine Figur aufmerksam machen, die sonst nicht das geringste Aufsehen erregte, das Gesicht wirkte beinahe farblos, war ohne einprägsame Züge und bewahrte nicht einmal die Erinnerung an verlorene Schönheit, jene Schönheit, die allen jungen Frauen wesenseigen ist, selbst den häßlichen. Dafür gab es einen unverkennbaren, verdichteten, schmerzlichen, fatalistischen Stolz, der in den Augen der Frau leuchtete, unbequemen, unsicheren und unruhigen Augen unter dichten Brauen. Die unbekannte Besucherin ließ ein »Ach!« hören, und erschrocken blickte sie auf den Boden.
    »Mir ist eine Kontaktlinse heruntergefallen«, gestand die Unbekannte.
    »Na, dann müssen wir sie finden«, sagte Laura Dïaz.
    Beide auf allen vieren, tasteten sie den Fußboden am Eingang ab, bis Laura mit der Zeigefingerspitze die feuchte, verlorengegangene kleine Kunststoffschale entdeckte. Mit der anderen Hand berührte sie indes fremdes und doch vertrautes Fleisch und übergab die gerettete Kontaktlinse Magdalena Ayub Longoria. »Ich bin Dantöns Frau, die Schwiegertochter von Laura Dïaz«, erklärte die, als sie sich aufrichtete. Laura lud sie zum Hereinkommen ein.
    »Wenn die Luft so schmutzig ist, laufen die Kontaktlinsen sofort kaffeebraun an«, sagte die Besucherin und steckte die kleine Kunststoffschale in ihre Chanel-Tasche.
    »Ist etwas mit Danton?« fragte Laura ahnungsvoll.
    Magdalena deutete ein Lächeln an, dem schließlich ein sonderbares Gelächter folgte, beinahe eine unfreiwillige Bekräftigung ihrer Worte. »Ihrem Sohn… nun ja, meinem Mann… passiert nie etwas. Aber das wissen Sie ja. Er wurde als Sieger geboren.«
    Laura antwortete nichts, doch mit ihrem forschenden Blick fragte sie: Was willst du? Na los, sag es endlich.
    »Ich habe Angst, Señora.«
    »Sag Laura zu mir. Hab dich nicht so.«
    Alles an ihrer Besucherin, von der Frisur bis zu den Schuhen, verriet tastende Bemühungen, Zweifel am unnötigen, dabei vollkommen vorhersehbaren Aufwand, den Schein zu wahren. Man mußte ihr zuvorkommen und sie fragen, wovor sie Angst hatte, vor ihrem Mann? vor Laura selbst? vor der Erinnerung an ihren rebellischen Sohn? den toten Sohn? den Enkel, der weit weg lebte, fern von dem Land, in dem die Gewalt über die Vernunft und, was schlimmer war, selbst noch über die Leidenschaft
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