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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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ein bedeutender und eigenwilliger Physiologe, in wissenschaftlichen Kreisen bekannt wegen seiner ungewöhnlichen Phantasie und rücksichtslosen Direktheit in der Diskussion. War dies derselbe Moreau? Er hatte einige sehr erstaunliche Tatsachen über Blutaustausch veröffentlicht, und er war bekannt durch wertvolle Arbeiten über krankhaftes Wachstum. Dann brach seine Karriere plötzlich ab. Er mußte England verlassen. Ein Journalist mit der vorsätzlichen Absicht, sensationelle Enthüllungen zu machen, verschaffte sich Zutritt zu seinem Laboratorium; durch einen grausigen Zufall - sofern es einer war - wurde seine bestürzende Broschüre bekannt. Am Tage ihrer Veröffentlichung entkam ein elender Hund, dem die Haut abgezogen und der auch sonst verstümmelt war, aus Dr. Moreaus Haus.
    Es war in der Sauregurkenzeit, und ein prominenter Redakteur, ein Vetter des erwähnten Journalisten, appellierte an das Gewissen der Nation. Nicht zum erstenmal wandte sich das Gewissen gegen die Methoden der Forschung. Der Doktor wurde einfach aus dem Lande gebuht. Vielleicht hatte er’s verdient, aber ich meine noch immer, die laue Unterstützung seiner Mitforscher und der Verrat der großen Masse der Wissenschaftler waren eine schmähliche Sache. Doch waren einige seiner Experimente nach dem Bericht des Journalisten leichtfertig und grausam gewesen. Er hätte vielleicht seinen sozialen Frieden erkaufen können, wenn er seine Untersuchungen aufgegeben hätte, aber offenbar waren sie ihm wichtiger. So dürfte es wohl den meisten Menschen ergehen, die einmal dem überwältigenden Zauber der Forschung erlegen sind. Und er war unverheiratet und hatte daher nichts als seine eigenen Interessen zu berücksichtigen.
    Ich war überzeugt, daß dies derselbe Mann war. Alles wies darauf hin. Mir ging auf, zu welchem Zweck der Puma und die anderen Tiere, die sich jetzt mit dem Gepäck in der Ummauerung hinter dem Hause befanden, bestimmt waren; und ein seltsamer, schwacher Geruch, der Duft von etwas Vertrautem, ein Geruch, der mir bisher nur undeutlich bewußt gewesen war, trat plötzlich in die vorderste Reihe meiner Gedanken. Es war der antiseptische Geruch des Operationszimmers. Ich hörte den Puma durch die Mauer hindurch knurren, und einer der Hunde schrie auf, als würde er geschlagen.
    Andererseits lag - besonders für einen Wissenschaftler - in der Vivisektion nichts so Furchtbares, das diese Heimlichkeit erklärt hätte. Und plötzlich fielen mir die spitzen Ohren und leuchtenden Augen bei Montgomerys Begleiter wieder ein. Ich starrte hinaus aufs grüne Meer, das unter einer auffrischenden Brise schäumte, und ließ diese und andere seltsame Erinnerungen der letzten paar Tage an mir vorbeiziehen.
    Was sollte das alles bedeuten? Eine verschlossene Ummauerung auf einer einsamen Insel, ein bekannter Wissenschaftler, der Vivisektionen durchführte, und diese verkrüppelten und verrenkten Menschen?

8
    Der Schrei des Pumas

    Montgomery unterbrach meine wirren Phantastereien und argwöhnischen Vermutungen, und sein sonderbarer Diener folgte ihm mit einem Tablett, auf dem sich Brot, etwas Gemüse und andere Eßwaren, eine Flasche Whisky, ein Krug Wasser, drei Gläser und Messer befanden. Ich besah mir dieses seltsame Geschöpf von der Seite und merkte, daß es mich mit seinen wunderlichen, rastlosen Augen beobachtete. Montgomery verkündete, er wolle mit mir frühstücken, Moreau sei jedoch durch vorbereitende Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen.
    »Moreau!« sagte ich. »Den Namen kenne ich.«
    »Den Teufel kennen Sie ihn!« sagte er. »Wie dumm von mir, ihn zu nennen. Ich hätt’s mir denken können. Auf jeden Fall wird er Ihnen eine Ahnung von unseren - Geheimnissen geben. Whisky?«
    »Nein, danke - ich bin Abstinenzler.«
    »Ich wollte, ich wär’s gewesen. Aber es nützt nichts, die Tür zu verschließen, wenn der Gaul erst gestohlen ist. Das verdammte Zeug ist schuld, daß ich hier bin. Und ’ne Nebelnacht. Ich hielt es damals für ein Glück, als Moreau mir anbot, mich mitzunehmen. Es ist seltsam ...«
    »Montgomery«, sagte ich plötzlich, als sich die äußere Tür schloß, »warum hat Ihr Diener spitze Ohren?«
    »Verdammt!« sagte er, an seinem ersten Bissen kauend. Er starrte mich einen Moment an, und dann wiederholte er: »Spitze Ohren?«
    »Kleine Spitzen«, sagte ich so ruhig wie möglich, aber mein Atem stockte, »und ein feiner schwarzer Pelz an den Rändern.«
    Er schenkte sich mit großem Bedacht Whisky und Wasser ein.
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