Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
Vorinformationen fuhr die Yorktown die Küste problemlos an. Sie umschiffte das Atoll, während Perril durch das Fernrohr blickte, ohne etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Im Gegenteil, er stellte enttäuscht fest, dass alles, was er sah, klein, öde, still und unbedeutend war. Nichts, was der schwarzen Legende Rechnung tragen würde. Das einzig Lebendige waren ein paar Menschen, die mit Taschentüchern winkten. Ein Anblick wie überall. Eine Weile später schwenkten die Leute immer noch die Taschentücher, und der Kapitän glaubte Kinder und womöglich Frauen zu erkennen, die den Strand entlangliefen und ihm winkten.
    »Wie lange die uns winken«, dachte Perril, »die haben wohl nichts Besseres zu tun.«
    Er erklärte den Auftrag für beendet und wollte gerade Befehl geben abzudrehen, als ihn etwas zurückhielt. Nichts Bestimmtes, nur ein Impuls, der Anflug einer Intuition. Er gab seinem Zweiten Steuermann, Sergeant Kerr, Befehl, alles zum Anlegen bereitzumachen. Kerr warf ihm einen verwunderten Blick zu. Sie konnten nur mit einem Boot an Land gehen, bei dem hohen Seegang ein waghalsiges Manöver, außerdem gab es dazu doch gar keine Veranlassung. Perril merkte, wie der andere stutzte, und suchte nach einer Erklärung.
    »Ich will wissen, ob der Leuchtturm, den ich da sehe, noch betriebstauglich ist«, sagte er wenig glaubhaft, worauf Leutnant Kerr nickte, ohne dass der verdutzte Ausdruck aus seinem Gesicht wich.

Taxco
    – heute –
    Ich suche Altagracia Quiroz, das Zimmermädchen aus dem Hotel San Agustín, das als Kinderfrau für den Nachwuchs der Arnauds mit nach Clipperton gegangen ist. Ich erfahre, dass sie voriges Jahr im hohen Alter verstorben ist, aber ich kann eine ihrer Cousinen ausfindig machen, die engen Umgang mit ihr pflegte und sie gut kannte. Guillermina Yamadá heißt sie, hatte einen japanischen Vater und eine mexikanische Mutter, und lebt in der Stadt Taxco. Sie ist groß und schlank, hat lange aristokratische Hände und tiefe Ringe unter den asiatischen Augen.
    Ich spreche am 5. Juli 1988 mit ihr, einen Tag vor den Präsidentschaftswahlen. Ganz Mexiko ist mit Wahlplakaten zugekleistert, die Gesichter der Kandidaten springen einen von allen Mauern und hinter jeder Ecke an. Der abseits des Wahlrummels gelegene Winkel, in dem sie zu Hause ist, könnte von einer Postkarte für Touristen stammen. Sie hat ein behagliches Heim mit Balkonen und Bougainvilleen, eingezwängt in die Häuserreihe einer engen steilen Gasse: die Nummer 9 der Benito Juárez, wenige Meter von Taxcos Zócalo entfernt.
    Guillermina hat eine langsame, altmodische Art und bittet um Entschuldigung ob ihres lückenhaften Gedächtnisses. Sie erklärt, sie habe nach dem Tod ihres Mannes einen Gehirnschlag erlitten, der alle Erinnerungen aus ihrem Verstand gelöscht hat. Sie habe sich nie wieder davon erholt, ja sie vergesse sogar Gegenwärtiges und ihre Töchter, so erklärt sie, müssten ihr helfen, ihre Sachen zu finden, weil sie oft nicht mehr wisse, wo sie die hingelegt habe.
    Anfangs, nachdem Altagracia aus Clipperton zurückgekehrt war, seien sie wie Mutter und Tochter gewesen, wegen des Altersunterschieds: Altagracia wurde 1901 geboren und Guillermina 1918. Aber danach wurden sie mit der Zeit Freundinnen und Vertraute.
    Ich bitte sie, mir zu erzählen, wie Altagracias Leben weiterging, nachdem sie von Clipperton heimgekehrt war:
    »Sagen Sie, Frau Guillermina, hat Ihre Cousine geheiratet?«
    »Ja, natürlich hat sie geheiratet, einen Mann, der … wie hieß er noch … Sie werden es kaum glauben … «
    »Doch ich glaube es Ihnen. Es ist mir schon von anderer Seite bestätigt worden. Er hieß Gustavo Schultz und war Betriebsleiter der ausländischen Guano-Gesellschaft auf Clipperton.«
    »Genauso ist es. Nun sagen Sie doch, ist das nicht unglaublich! Die Liebesgeschichte dieser beiden ist wie eine Telenovela.«
    »Erzählen Sie sie mir?«
    Guillermina erinnert sich besser, als sie es sich selbst zutraut. Ihr Kopf ist klarer als sie vorgibt, und sie erzählt mir, sich immer wieder für ihr schwaches Gedächtnis entschuldigend, von der Cousine und der Frau, die für sie sorgte wie für eine Tochter und später ihre engste Freundin wurde: Señora Altagracia Quiroz de Schultz.
    »Alta ist vor einem Jahr gestorben, ich habe sie im Sterben begleitet. Um wiedergutzumachen, was sie an mir getan hat, weil sie mich ins Leben begleitet hat. Jahrelang haben wir uns viel ausgetauscht, aber am Ende hat die Ärmste lauter ungereimtes Zeug von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher