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Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom

Titel: Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Autoren: Eric Walz
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Doch er vermied es, in die Straße einzubiegen. Niemand hätte ihm angesehen, was er in diesem Moment fühlte.
    Als sie nach einem langen Ritt quer durch die Stadt den Vatikan passierten, übernahm Bruder Massa wortlos wieder die Führung. Bis zum Gianicolo waren es jetzt nur noch ein paar Schritte, und Massa schien sich dort hervorragend auszukennen. Er fand den Weg, als wäre er ihn schon tausendmal im Dunkeln gegangen.
    Als Sandro zwei Soldaten der Schweizergarde vor der Pforte einer Villa stehen sah, wusste er, noch bevor Massa etwas sagte, dass sie am Ziel waren.
    »Wir sind da«, sagte Massa und rutschte vom Pferd, als mühe er sich von einer hohen Mauer herab. Unten angekommen, strich er seine Soutane glatt und faltete die Hände. »Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, Bruder Visitator.«
    So hatte Massa ihn noch nie genannt, und Sandro fragte sich, was wohl passiert sein könnte, dass jemand, der ihn bisher bestenfalls ignoriert und oft genug herablassend behandelt hatte, sich plötzlich ganz anders verhielt.
    Sie betraten die Villa. Die beiden Gardisten blieben mit ihren riesigen Hellebarden vor der Tür, den Blick starr in die Finsternis gerichtet. Sandro glaubte nicht, dass sie auch nur die geringste
Ahnung davon hatten, was vor sich ging und weshalb man sie hier postiert hatte.
    Das Atrium der Villa war in vollkommenes Dunkel getaucht, aber Massa entzündete einen fünfarmigen Kerzenleuchter und gleich danach ein paar weitere Kerzen. Vom Atrium gingen, außer der Eingangspforte, drei weitere geschlossene Türen in drei Richtungen ab. Massa deutete auf die mittlere Tür, die geradewegs ins Herz der Villa führen musste.
    »Bitte, Bruder«, sagte er und gab Sandro den fünfarmigen Leuchter.
    »Bitte was?«
    »Bitte geht durch diese Tür.«
    »Und Ihr?«
    »Ich werde hier auf Euch warten.«
    »Wer oder was erwartet mich auf der anderen Seite der Tür?«
    »Eine Überraschung.«
    Wahrscheinlich, dachte Sandro, hatte der alte König Agamemnon die gleiche Antwort von seiner Frau Klytämnestra bekommen, bevor er das Schlafgemach betrat und von deren Liebhaber, der sich hinter der Tür versteckte, rücklings erdolcht wurde.
    Massa schloss die Tür hinter ihm, und sofort erwachte in Sandro ein Gefühl, wie er es seit Jahren nicht mehr gehabt hatte: das Gefühl, vor einer Herausforderung zu stehen und sie bewältigen zu wollen. Dies hier würde ein neuer Fall für ihn werden.
    Sandro befand sich in einem riesigen Raum von sicherlich zwanzig mal dreißig Schritt. Zwei Reihen dünne Marmorsäulen teilten den Raum optisch in drei Teile, und in regelmäßigen Abständen zwischen den Säulen standen mannshohe Leuchter. Die meisten Kerzen waren erloschen, das Wachs war übergelaufen und hatte den Boden unter den Leuchtern in eine Miniaturlandschaft
aus gelblichen Hügeln verwandelt. Ein paar Stummel brannten noch und warfen genug Licht, um den reglosen Körper auf der anderen Seite des Raumes zu sehen.
     
    Sandro kniete neben der jungen Frau. Sie war von einer Schönheit, die sich nicht sofort zeigte, sondern erst, wenn man sie länger ansah. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr Kopf ruhte auf ihren blonden, gelösten Haaren wie auf einem Kissen. Ihr schlanker, langer Körper war in ein luftiges, hellrotes Nachtgewand gehüllt. Die Haut war von natürlicher Blässe und duftete nach irgendeiner Essenz. Sandro roch Rosen.
    Es war unheimlich. Sie wirkte wie eine Frau, die sich soeben zu Bett begeben hatte, die noch nicht schlief und nicht träumte, aber mit geschlossenen Augen darauf wartete, dass es geschah. Ihr Mund war leicht geöffnet, ihre linke Hand ruhte auf der kleinen Brust, die rechte auf der Stirn. Wie viele Maler hatten ein solches Motiv gewählt: eine Frau, die auf ihren Liebhaber, ihren Mann wartet. Doch diese Frau lag nicht auf dem Bett, sondern auf dem kalten Boden. Und sie war tot.
    Ihre linke Wange wies einen blauen Fleck auf, der sich bis zum geschwollenen Auge zog. Die rechte Schläfe war genauso schlimm zugerichtet. Sie war geschlagen worden, und zwar mit äußerster Härte und Kraft. War das die Todesursache? War sie unglücklich auf dem Boden aufgeschlagen? Für einen Moment sah es tatsächlich so aus, als könnte ihr Tod unbeabsichtigt gewesen sein. Doch dann entdeckte Sandro unter ihrer Hand, die auf dem Herzen lag, einen weiteren Blutfleck – und eine klaffende Wunde.
    Sie war erstochen, war absichtlich getötet worden, wobei die Schwere der Schlagverletzungen auf einen Mann als Täter
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