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Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom

Titel: Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Autoren: Eric Walz
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dass er erst vierundzwanzig Jahre alt war, vier Jahre jünger als Sandro. Bald darauf schloss der Mann die Augen, und wie immer, wenn so etwas geschah, hielt Sandro den Atem an und erschrak. War der Mann tot? Bei den Schwachen, den Kranken war der Schlaf vom Tod noch weniger zu unterscheiden als bei anderen Menschen; es war, als trenne nur ein hauchdünner Faden das eine vom anderen. Der Mann schlief.
    Sandro holte erleichtert Luft und lächelte. Auch wenn die Arbeit aufwühlend war: Sandro fühlte sich in Momenten wie diesen endlich wieder als Teil seiner Bruderschaft. Das tat gut, aber er wusste auch, dass dieses gute Gefühl, diese vermeintliche Rückkehr in sein Leben als Jesuit, trügerisch war. Schon bald, gleich nach dem kargen Mahl mit seinen Mitbrüdern,
würden diese in ihre einfachen Schlafsäle gehen, während er, Sandro, in den Vatikanpalast zurückkehren würde – zurückkehren musste. Dort würde ihn ein gemütlicher Raum mit einem Kamin, einem Diener und einem bequemen Bett erwarten. Aus dem Elend der Stadt und der kargen Schlichtheit des Hospitals würde er direkt in den apostolischen Prunk eintreten – und wäre damit nicht länger ein Bruder unter Brüdern, sondern ein bevorzugtes Einzelkind. In dieser Nacht – es war gewiss schon Mitternacht -, als er mit seinen Mitbrüdern das letzte Gebet sprach, wurde der Unterschied zwischen ihnen und ihm besonders augenfällig.
    Der Bruder Pförtner kam herein, ging zum Bruder Provinzial, dem Vorsteher des Hospitals und des angrenzenden Kollegs, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Provinzial nickte und fixierte Sandro. Sofort sahen ihn auch die anderen Mitbrüder schweigend an, manche ganz offen, manche verstohlen aus den Augenwinkeln. Er kannte diese Blicke, aber er gewöhnte sich nie an sie. Jeder wusste, dass Sandro vor einem halben Jahr eine Mordserie an Bischöfen während des Konzils von Trient aufgeklärt hatte und dass er seither direkt dem Papst unterstand. Niemand warf ihm das vor, und doch... Hätten sie ihn voller Neid oder Feindseligkeit angesehen, wäre das für ihn erträglicher gewesen als die Neugier, mit der sie ihn anstarrten, als sei er ein unbekanntes Tier. So viele Stunden er im Hospital verbringen, so viele Bedürftige er pflegen, so viele Gebete er mit seinen Mitbrüdern auch sprechen würde – er war kein Jesuit mehr wie sie. Er war auf immer von ihnen getrennt.
    »Bruder Sandro«, sagte der Provinzial, »du hast einen Besucher. Einen sehr ungewöhnlichen Besucher.«
    Ihm blitzte der groteske Gedanke durch den Kopf, dass vielleicht Antonia dieser ungewöhnliche Besucher sein könnte, und augenblicklich hatte er die Befürchtung zu erröten. Antonia war die Frau, deren Gegenwart er so stark wie noch nie
etwas herbeisehnte – und ihr zugleich auswich. Während er sich langsam erhob, war ihm, als könne jeder seine Gedanken lesen, aber da seine Gedanken so verworren waren wie seine Gefühle, machte das nichts.
    Der Provinzial sagte: »Es handelt sich um den Kammerherrn Seiner Heiligkeit. Ich gestatte daher, dass du dich vorzeitig von uns verabschiedest.«
     
    Sandro konnte Bruder Laurenzio Massa, den Kammerherrn des Papstes, nicht ausstehen. Er hasste alles an ihm: sein wichtigtuerisches Gehabe, sobald er mit einfachen Geistlichen zu tun hatte, seine hündische Unterwürfigkeit, sobald er in die Nähe des Papstes kam, seine verschlagenen Andeutungen, denen nie etwas Konkretes folgte, das breite Grinsen in seinem kleinen, runden, glänzenden Gesicht, die ständig auf dem Bauch gefalteten Hände... Und er hasste an Massa, dass es Geistliche wie er waren, die Sandro davon abhielten, sich als Teil der vatikanischen Welt zu fühlen, wenn er sich schon seinem Orden nicht mehr zugehörig fühlen konnte. Massa verkörperte alles, was Sandro an seiner neuen Umgebung abstieß, vor allem die Ränke, die sich so langsam wie Schlingpflanzen um ihre wehrlosen Opfer wickelten und ihnen schließlich den Lebenssaft abdrückten. Jeder musste ständig auf der Hut sein. Kein Kardinal, kein Kammerherr, kein Sekretär durfte sich jemals sicher fühlen, denn Päpste regierten nicht ewig, und schon das nächste Konklave konnte den Gegner auf den Stuhl Petri wählen. Darum schätzten alle unaufhörlich ab, wer wohl die besseren Chancen hatte, wer über die besseren Beziehungen verfügte, wer mit wem ein Bündnis einging und gegen wen sich welches Bündnis richtete. Da man nicht wusste, wann ein Pontifex starb, musste man die Entwicklung fast täglich neu
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