Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
entschlossen die Redaktion verließ. Wohin er wohl gehen mochte? Brazil hatte seine Aktentasche unter dem Arm, also würde er wahrscheinlich nicht zurückkommen. Axel hatte sich Brazils Privatnummer aus dem Telefonbuch herausgesucht. Er wohnte nicht in der Stadt, sondern irgendwo in der Provinz, was Axel ganz und gar nicht verstehen konnte. Natürlich verdiente Brazil keine zwanzigtausend Dollar im Jahr, aber sein Wagen war wirklich das Letzte. Axel fuhr einen Ford Escort, der auch nicht mehr ganz neu war. Der Lack erinnerte ihn langsam an das Gesicht von Keith Richard. Er besaß keinen CD-Player, und der Observer wollte ihm auch keinen zur Verfügung stellen. Er hatte vor, das dem ganzen Verlag heimzuzahlen, wenn er erst einmal einen Job beim Rolling Äone-Magazin hatte. Axel war zweiunddreißig. Er war einmal verheiratet gewesen. Nach genau einem Jahr hatten er und seine Frau sich eines Abends beim Essen im Kerzenschein angesehen und über ihre Beziehung, dieses ewigwährende Geheimnis, nachgedacht und gemerkt, daß sie auf verschiedenen Planeten lebten.
    Sie, die Aliens, hatten sich daraufhin ganz einvernehmlich geeinigt, zu neuen Horizonten aufzubrechen, dorthin, wo noch nie jemand gewesen war. Die Trennung hatte nichts damit zu tun gehabt, daß er die Angewohnheit hatte, sich nach einem Konzert das eine oder andere Groupie männlichen Geschlechts aufzugabeln, nachdem Meat Loaf, Gloria Estefan oder Michael Bolton sie erst einmal in Fahrt gebracht hatten. Für ihn fielen ein paar Sprüche ab, die er zitieren konnte, und er brachte die Boys mit ihren blitzenden Schuhen, ihren rasierten Köpfen oder Dreadlocks und ihrem Bodypiercing in die Zeitung. Ganz aufgeregt riefen sie Axel dann an, wollten zusätzliche Exemplare und 18x24-Abzüge von den Fotos, erboten sich zu Folgeinterviews und baten Axel um Konzertkarten und Backstage-Ausweise. Meistens führte eines zum anderen.
    Während Axel über Brazil nachdachte, war Brazil mit seinen Gedanken woanders. Er saß in seinem BMW und versuchte auszurechnen, wann er das nächste Mal tanken mußte. Bereits vor über sechzigtausend Kilometern hatten Tankuhr und Tachometer ihren Geist aufgegeben. Die Preise für BMW-Teile dieser Art lagen in einer Größenordnung, daß er sich genausogut Flugzeugarmaturen hätte kaufen können; sie überstiegen schlicht seine finanziellen Mittel. Für einen notorischen Raser und jemanden, der nicht gern am Straßenrand liegen blieb, war das nicht gerade vorteilhaft. Seine Mutter schnarchte noch immer vor dem Fernseher. Brazil hatte gelernt, sich so in dem verfallenden Haus und dem Familienleben, das sich darin spiegelte, zu bewegen, als nähme er es gar nicht wahr. Er steuerte direkt auf sein kleines Zimmer zu, sperrte die Tür auf und schloß sie hinter sich. Dann schaltete er seinen Radiorecorder ein, drehte ihn auf erträgliche Lautstärke, ließ sich von Joan Osborne berieseln und betrat seinen begehbaren Kleiderschrank. Das Anlegen der Uniform war für ihn zu einem Ritual geworden, und er konnte sich nicht vorstellen, es jemals leid zu werden. Als erstes breitete er sie immer auf dem Bett aus und verlor sich einen Moment lang in ihrer Betrachtung. Noch immer konnte er es nicht recht fassen, daß man ihm die Erlaubnis gegeben hatte, ein so prachtvolles Ding zu tragen. Seine Charlotte-Uniform war mitternachtsblau, neu, hatte scharfe Bügelfalten und ein Hornissennest in strahlendem Weiß auf jeder der beiden Schulterklappen, das wie ein weißer Wirbelsturm in Bewegung zu sein schien. Immer zog er zuerst die schwarzen Baumwollsocken an, die ihm die Stadt allerdings nicht gestellt hatte. Dann zog er vorsichtig die Sommerhose an die trotz des leichten Materials sehr warm war. Eine dezente Litze lief an jeder Beinnaht hinab.
    Das Hemd war sein Lieblingsstück, wegen der Schulterklappen und all dem anderen, das er sich anheften würde. Er schlüpfte durch die kurzen Ärmel, begann sich vor dem Spiegel von unten nach oben zuzuknöpfen und klipste dann die Krawatte fest. Es folgten sein Namensschild und die Trillerpfeife. An dem schweren Ledergürtel befestigte er die Halter für Stablampe und Pieper und ließ noch Platz für das Sprechfunkgerät, das er im LEC in Empfang nehmen würde. Seine High-Tech-Stiefel waren nicht aus glänzendem Leder, die Sorte, die man beim Militär trug und die am meisten verbreitet war, sondern glichen eher hochgeschnürten Sportschuhen. In diesen hier konnte er weglaufen, falls je die Notwendigkeit entstehen sollte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher