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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition)
Autoren: Marco Lalli
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malen oder irgendeine Versuchsanordnung zu skizzieren.
    Sein Zimmer war f ür Altstadtverhältnisse riesig, die Decke an die vier Meter hoch. Drei verschwenderische Fenster gingen auf die Bussemer Gasse. Auf der einen Seite überspannte ein Hochbett, groß wie ein hochseetaugliches Floß, den Raum. Es ruhte auf stammdicken Kanthölzern. Eine Leiter führte hinauf wie auf einen Speicher. Unter dem Bett konnte man bequem stehen. Dort war auch die Sitzecke. Matratzen lagen herum, zwei zerschlissene Sessel, Wandteppiche und Papierlampen vervollständigten die Einrichtung. Ein niedriger Wohnzimmerschrank teilte das Zimmer. Hinter dem Schrank hatte Altomonte seine zaghaften Ordnungsbemühungen ganz aufgegeben. Hier befand sich die Arbeitsecke: eine Sperrholzplatte auf zwei Böcken, billige Pressholzregale, auf denen Bücher übereinander fielen, und die Tafel, die an der Rückwand des Schrankes hing und über und über mit unleserlichen Schriftfetzen und den Resten verschmierter Kreide überzogen war. In einer Ecke türmten sich elektrische Bauteile, Spulen, Kondensatoren, Röhren, daneben Messgeräte, Verstärker, ein Mikrofon, Lötkolben und anderes Werkzeug. Sein Arbeitsplatz glich einer Hinterhofwerkstatt und es hätte mich nicht verwundert, wenn aus den Kisten, die überall an den Wänden standen, künstliche Arme oder Beine für eine geheimnisvolle Frankensteinkonstruktion herausgelugt hätten.
    Schon auf der Stra ße hatte ich gestutzt. Die Adresse, die er mir ein paar Tage zuvor zum Abschied zugerufen hatte, gehörte zu einem herrschaftlichen Haus in der Unteren Straße. So ganz anders als die schmalen Fassaden, die sich scheinbar schwankend aneinanderklammerten, thronte es wie eine Kirche über die armseligen weltlichen Hütten ringsum. Es mochte gut und gerne dreihundert Jahre alt sein. Es bedurfte keiner großen Phantasie, eine Burschenschaft darin zu vermuten.
    Nun geno ss ein Burschenschaftler zu jener Zeit in unseren Kreisen etwa genauso viel Ansehen wie ein Polizeispitzel, Heidelbergs Oberbürgermeister oder ein amerikanischer Bomberpilot in Hanoi. Jedenfalls war ich kurz davor, auf der Stelle kehrt zu zumachen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob das etwas geändert hätte. Vielleicht hätte ich einen Tag, eine Woche später wieder dort gestanden, vielleicht wäre diese seltsame Freundschaft aber genauso abrupt zu Ende gewesen, wie sie am Philosophenweg begonnen hatte. Ich habe in den letzten Jahren oft an diesen Augenblick gedacht, und, obwohl ich weiß, dass es um etwas Höheres geht als um mich, mehr als einmal habe ich mir gewünscht, ich hätte diese Klingel nicht gedrückt.
    Tats ächlich war es mit einem Klingeln nicht getan. Erst nach etlichen Minuten, in denen ich meine anfängliche Zurückhaltung schrittweise aufgegeben hatte, um zu morseähnlichen Signalfolgen, später dann zu einem unverhohlenen Dauerklingeln überzugehen, wurde geöffnet. Jemand fluchte von oben ins Treppenhaus hinunter, warum, verdammt noch mal, niemand aufmache, und ich betrat, mich misstrauisch umschauend, den kalten Flur. Besänftigt wurde ich durch eine auffällig attraktive Schwarzhaarige, die in der Küche im ersten Stock gutgelaunt gegen einen Berg dreckigen Geschirrs ankämpfte. Montis Zimmer, sagte sie, sei dort, die nächste Tür.
    Monti klang nach Montgomery, dem britischen Oberbefehlshaber. Obwohl ich mich nicht erinnern konnte, dass ihn im Institut jemals jemand so gerufen hatte, war ich mir sicher, dass ihm dieser Spitzname gefiel.
    So warf ich mich, kaum eingetreten, in die Brust und br üllte: "Herr General, Jungfux Heilant wie befohlen zum Stiefelputzen angetreten!"
    Er schien sich über meinen Besuch zu freuen und sagte lächelnd: "Lass den Blödsinn!"
    "Ich wu sste gar nicht, dass in einer Burschenschaft auch Mädchen wohnen."
    "Du meinst Alessandra?" Er wog bed ächtig den Kopf. "Na ja, offiziell jedenfalls nicht." Einer der Bewohner, ein Theologiestudent, weilte einige Semester im Ausland. Das Zimmer war für diese Zeit einer italienischen Studentin vermietet worden, unter der Hand, sozusagen. "Wir sind zwar progressiv, aber so weit sind wir noch nicht. In zwanzig Jahren vielleicht." Er grinste. "Mensch, fass dich wieder!" Ich sah offenbar immer noch recht betreten drein. "Erstens, ist das hier keine Burschenschaft, sondern eine musische Verbindung." Das schien ihm wichtig zu sein. "Zweitens, sind die Freaks in Ordnung, zumindest die meisten. Und drittens, ist es mir wurscht. So billig kannst du
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