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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition)
Autoren: Marco Lalli
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angefüllt schien: stets inszenierte er sich selbst. Was er auch aufführte, nie sollte jemand daran zweifeln, dass er spielte . Er streifte sich mal diese, mal jene Maske über, und doch durfte auch die kunstvollste Verkleidung niemals darüber hinwegtäuschen, dass sie etwas verbarg. Was es war, blieb ein Rätsel.
    Im krassen Widerspruch zu dieser spielerischen Virtuosit ät, mit der er höchst feinfühlig ein Netz von Täuschung und Einbildung, von Hintersinn und Unsinn spinnen konnte, stand das schroffe, geradezu unversöhnliche Rebellentum, das seine wissenschaftliche Arbeit auszeichnete und ihn schließlich berühmt machen sollte.
     
    "Was ist los?" Ich hatte wohl schon eine Weile, den Hörer noch in der Hand, vor mich hin gestarrt, denn Madelaine, die dunkelhäutige Volontärin, klang besorgt, als sie in meine Erinnerungen eindrang.
    "Es ist jemand gestorben." Es war eine Wahrheit, die wenig besagte, der ich im Augenblick aber nichts anzufügen wusste. Und tatsächlich, obwohl es wenig oder nichts erklärte, Verständnis schien über ihr Gesicht zu huschen.
    "A ltomonte ist tot."
    "Der Physiker?"
    Ich nickte.
    "Das war ein Freund von dir?"
    Ein Freund? Wieder nickte ich.
    "Es tut mir leid."
    Es brauchte ihr nicht leid zu tun.
     
    Der laufende Fernseher spiegelte sich flackernd in der großen Fensterfront. Ich sah hinaus auf den Hafen. Das rötliche Licht der Lampen strich über die dunklen Bassins und umgab Speicher und Kais wie eine wärmende Aureole. Obwohl es mit Einbruch der Nacht ruhiger geworden war, schwangen die Ladekräne hin und her, und manches Gefährt hastete einer unbekannten Bestimmung entgegen. Es war, als hätte die Aufbruchsstimmung des Hafens heute auch mich erfasst.
    "Wie erst heute bekannt wurde, kam am letzten Sonntag in Genf der fünfundvierzigjährige Schweizer Physiker Massimo Altomonte bei einem Unfall ums Leben. Erst im vergangenen Jahr war ihm der Nobelpreis für seine bahnbrechenden Arbeiten im Bereich der Hochenergiephysik zuerkannt worden. Näheres über die Umstände wurde zunächst nicht bekannt."
    Als könnte ich mich nicht daran gewöhnen, schrak ich auf. Hinter der Sprecherin prangte ein Schwarzweißfoto. Ein tadellos gekleideter Altomonte sah mich spöttisch an.

THE POINT OF NO RETURN
     
    Liepman wartete gleich hinter dem Zoll. Die Hände in den Taschen seiner hellbraunen Hose gestemmt, schien er sich für jeden mehr zu interessieren als für mich. Ich musste ihn regelrecht schütteln, um auf mich aufmerksam zu machen. Doch dann strahlte er und klopfte mir mit unerwarteter Vitalität ein paar Mal auf den Rücken, so als habe ich mich verschluckt und drohe jeden Augenblick zu ersticken.
    "Willkommen in Genf!" br üllte er ihn gewohnter Lautstärke.
    Er erkundigte sich nach meinem Flug, schnaufte, schnaubte, zog den Hosenbund zum Äquator seines riesigen Bauches hinauf und versuchte dann, mir eine meiner Taschen zu entwinden.
    In den wenigen Jahren seit unserem letzten Zusammentreffen war er sichtlich gealtert. Sein Gesicht war aufgequollen, und seine blassblauen Augen versanken darin, als müsse man sich Sorgen machen, er sähe eines Tages die Welt nur noch wie vom Grund eines tiefen Brunnens. Auf Schädel und Stirn glänzte der Schweiß. Die wenigen Haarbüschel, die ihm verblieben waren, bildeten verkümmerte gelbliche Oasen auf den Hängen über seinen Ohren. Er war zwei Handbreit kleiner als ich, und wie er uns einen Weg durch die Menge bahnte, erinnerte er an eine altersschwache Dampflok.
    "Es war nett, dass Sie an mich gedacht haben", sagte ich später und sah ihn an, während ich meine Gabel zum Mund führen.
    Wir hatten uns im Hotelrestaurant verabredet. Um uns herum sa ßen andere Männer mittleren und fortgeschrittenen Alters. Zerknitterte Gestalten in grauen, blauen oder braunen Anzügen, die, wie wir, die Enge von Ledertaschen und gut verschlossenen Hotelschränken aussonderten, nach Tabakrauch und teurem Rasierwasser rochen.
    "Mich hat, ehrlich gesagt, jemand vom Institut angerufen." Liepman sah nicht auf. Er war ganz mit dem Essen besch äftigt. Während er genussvoll und konzentriert kaute, wanderten seine Augen pausenlos zwischen seinem Teller und den diversen Servierschüsseln hin und her, so als könne er nicht entscheiden, was er als nächstes in sich hineinstopfen wollte. "Die offizielle Pressemitteilung ging erst ein paar Stunden später raus. Ich glaube, ich war einer der ersten, der es erfahren hat."
    "S ie meinen, man wollte uns etwas
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