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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin
Autoren: Iny Lorentz
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ihr?«
    »Ich soll ihr Nachrichten von ihrer Familie und Grüße von ihren Verwandten überbringen. Ihre Eltern sind unsere Nachbarn und gut mit uns bekannt. Am liebsten würde ich noch heute Abend zu ihr gehen, denn man hat mich dringend um den Besuch gebeten.«
    Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Lea hatte Gretchens Mutter zwar versprochen, ihre Tochter bei Gelegenheit aufzusuchen, doch sie hatte ihr erst Botschaft schicken und anfragen wollen, ob sie in ihrem Haus willkommen war. Die christliche Familie, in die Gretchen eingeheiratet hatte, war möglicherweise nicht bereit, eine Jüdin über ihre Schwelle treten zu lassen. Jetzt aber bot Lea der Besuch bei Gretchen eine Chance, für eine Weile der Tante und deren Heiratsplänen zu entkommen. Am nächsten Morgen, das nahm sie sich fest vor, würde sie ihren Vater fragen, ob er sie tatsächlich hier in Sarningen an den Nächstbesten verschachern wollte, der an ihrer Mitgift interessiert war.
    Lea war sich sicher, dass Gretchen im Gegensatz zu ihrer Tante Verständnis für sie haben würde, denn sie war mit ihr und ihrer Familie immer gut ausgekommen, besser sogar, als es den christlichen Predigern in Hartenburg gefallen hatte. Ihr Vater hatte seinen Nachbarn mit einem großzügigen Kredit vor dem Schuldturm bewahrt und ihm später Gretchens Mitgift vorgestreckt, damit sie den jungen Peter Pfeiffer heiraten konnte. Deswegen hoffte Lea, Gretchens Familie würde ihr einen Schwatz mit ihrer Freundin erlauben, bei dem sie den unangenehmen Empfang in Sarningen für eine Weile vergessen konnte.
    Sie blickte durch das winzige Fenster ins Freie und sah, dass die Sonne nur noch eine Handbreit über den Dächern der umliegenden Häuser stand. »Wenn du nichts dagegen hast, werde ich jetzt gleich zu Gretchen hinübergehen, Tante.«
    »Ich komme mit.« Rachels Gesicht zeigte deutlich, dass sie keine Lust hatte, allein der Neugier und der nörgelnden Art ihrer Tante ausgesetzt zu sein.
    Mirjam überlegte kurz und nickte dann. »Geht ruhig. Noomi wird euch hinauslassen. Ich bereite unterdessen das Abendessen vor.« Sie rief nach ihrer Tochter, die schon fleißig in der Küche werkelte, und wies sie an, Lea und Rachel zur westlichen Pforte zu bringen.
    Noomi war ein mageres Mädchen in Rachels Alter, das sich nervös die Hände an der Schürze abtrocknete und seine Mutter kaum anzusehen wagte. »Soll ich auf sie warten?«
    »Das ist nicht nötig. Wenn Lea laut genug gegen die Pforte klopft, hört sie schon jemand und macht ihr auf.«
    Als sie durch den Hintereingang des Hauses ins Freie traten, blickte Noomi Lea besorgt an. »Wollt ihr wirklich in die Stadt hinaus? Bei der schlechten Stimmung unter den Christen würde ich mich nicht aus dem Viertel hinauswagen.«
    Lea winkte ab. »Mach dir um uns keine Sorgen. Bei Gretchen Pfeifferin wird uns nichts zustoßen, denn sie ist unsere Freundin.«
    Sie hatte keine Lust, ihrer verhuschten Base zu erklären, dass sie den Besuch auch dazu nutzen wollte, von Gretchen etwas über den wahren Grund für die aggressive Spannung in der Stadt zu erfahren. Daher lächelte sie ihr nur aufmunternd zu und folgte ihr mit Rachel durch eine Reihe winziger, aber liebevoll gepflegter Gärten, die die Juden direkt hinter ihren Häusern angelegt hatten, bis zu einer ungewöhnlich stabil wirkenden Pforte aus eisenbeschlagenen Eichenbohlen.
    Noomi bemerkte Leas Stirnrunzeln und deutete auf die massiven Türangeln. »Mein Vater hat ein festeres Tor einsetzen lassen, nachdem es vor zwei Wochen schon einmal Unruhen gegeben hat. Damals haben ein paar böse Menschen behauptet, unsere Brüder in Mainz hätten ein Christenkind geschlachtet und sein Blut getrunken, und den Leuten hier weisgemacht, wir würden auch so etwas tun.«
    Lea zog unbehaglich die Schultern hoch. »Auf diese Weise haben schon etliche Massaker an unserem Volk ihren Anfang genommen.«
    Noomi hob beschwichtigend die Hand. »Es ist ja nichts Schlimmes passiert. Die Leute haben nur herumgeschrien und Steine gegen unsere Mauer geworfen, aber als Alban von Rittlage seine Soldaten aufmarschieren ließ, haben sie sich sofort wieder beruhigt. Der Kaiser hat ihn hier eingesetzt, damit er in unserer Stadt für Recht und Ordnung sorgt, und er wird uns auch morgen beschützen, das hat er meinem Vater ausdrücklich versichert. Also lasst euch nicht von Mama erschrecken. Sie hat sich die Gehässigkeit der Leute zu Herzen genommen und hält es für ihre Pflicht, auf alles vorbereitet zu sein. In unserem
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