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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Autoren: Melissa Fairchild
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ist das? Ich kenne keine Namen oder Örtlichkeiten, Durin … Ich weiß ja nicht einmal, wer ich bin.«
    Aber Durin antwortete nicht mehr. Er lag nur ruhig in Avis Armen und ließ sein Leben los.
    Avi spürte, wie in ihm eine Saite riss. All die unterdrückte Verzweiflung nach den Tagen im Krankenhaus, die grausige Begegnung mit Kellen und nun die Trauer, dass dieser gute Mensch, der gleichzeitig ein Freund und ein Fremder gewesen war, sterben musste. Am liebsten hätte er laut losgeschrien, doch er konnte nur leise weinen und Durins Kopf sanft in den Armen wiegen, bis ein Instinkt ihm sagte, dass es Zeit zum Abschiednehmen war.
    Er ging um das demolierte Taxi herum zu der niedrigen Mauer, die, wie er nun feststellte, das Ende einer Uferböschung bildete, und lehnte sich daran.
    Der Fluss war breit und schwarz. Darüber spannte sich ein dunkles Firmament, an dem sich die ersten orangefarbenen Pinselstriche der Morgenröte zeigten. In der Ferne, am anderen Ufer, ragte ein Riesenrad über eng beieinanderstehende Häuser. Das Wasser des Flusses war gefroren, was jedoch nicht an den Temperaturen, sondern an dem seltsamen Stillstand lag, der ganz London in seinem lähmenden Griff hielt. Doch noch während Avi die Szene beobachtete, begann das Wasser, sich zu bewegen. Eine Welle hier, ein Strudel da, es wurden immer mehr, bis der ganze Fluss allmählich zum Leben erwachte. Gebannt sah er zu und nahm das Mädchen erst wahr, als es ihn ansprach.
    »Ich habe versucht, einen Krankenwagen zu rufen«, meinte sie und schwenkte ihr Mobiltelefon. »Da ist man mitten in London und kriegt keinen Empfang. Nicht zu fassen!«
    Sie warf über die Schulter einen Blick zu Durin und erschauderte. »Ist er …?«
    »Tot«, erwiderte Avi. »Ich glaube schon.«
    »Soll ich dir mal was sagen? Ich finde das alles ziemlich schräg hier.«
    »Ich auch.«
    »Nichts bewegt sich«, fuhr das Mädchen fort und starrte zu dem Riesenrad hinüber.
    »Stimmt nicht ganz«, widersprach Avi und zeigte über die Uferbegrenzung, wo der Fluss schäumte.
    Das Mädchen wischte sich mit der Hand übers Gesicht und rieb sich die Augen. »Ich kapiere das einfach nicht.«
    »Ich auch nicht.«
    »Kenne ich dich irgendwo her?«, fragte sie.
    »Ich denke nicht«, entgegnete er. »Ich heiße Avi.«
    »Hannah«, gab sie zurück und zupfte an dem Silberring in ihrer Unterlippe.
    Ihr Blick wanderte von Avi zum anderen Ufer hinüber. »Schau«, meinte sie. »Es fängt an.«
    Im ersten Moment verstand Avi nicht, doch dann sah er es selbst. Langsam, ja, fast unmerklich setzte sich das Riesenrad in Bewegung.

Kapitel 6
    S chritt für Schritt erwachte die Stadt aus ihrem Dämmerschlaf. Am anderen Ufer hupten Autos. Ein Schwarm Tauben, der mitten in der Luft verharrt hatte, erhob sich plötzlich in den Himmel. Das Geräusch ihrer Flügel erinnerte an Gewehrfeuer.
    »Wir müssen abhauen«, sagte Avi. »Kellen könnte jeden Moment zurückkommen.«
    »Kellen?«, erwiderte Hannah und verzog das Gesicht. »Meinst du diese Gestalt auf dem Taxi? Was zum Teufel war das? Der Typ sah aus wie aus einem Horrorfilm.«
    »Ich glaube, es war ein Goblin.«
    Kopfschüttelnd machte sie erst einen, dann zwei Schritte rückwärts. »Quatsch keinen Blödsinn. Goblins gibt es doch gar nicht.«
    »Den da offenbar schon.«
    »Er hat gestunken«, meinte Hannah nach einer Weile. »Findest du nicht?«
    »Ja, hat er.«
    Avi stellte fest, dass sie seine Körpermitte betrachtete.
    »Warum glotzt du so?«
    »Ich weiß, dass wir Hochsommer haben, aber frierst du nicht?«
    Avi wurde klar, dass er noch immer das dünne Krankenhausnachthemd trug. Und nichts darunter.
    »Von vorne geht es«, fügte Hannah hinzu, »aber von hinten ist es irgendwie …«
    Avi tastete herum und stellte fest, dass das Nachthemd weit auseinanderklaffte. Dass gerade in diesem Moment eine Brise aufkam, verbesserte die Angelegenheit nicht gerade.
    Errötend wich er rückwärts an die Mauer zurück. »Du könntest wenigstens wegschauen.«
    »Zu spät. Ich habe schon genug gesehen.«
    Avi zog das Nachthemd eng um sich zusammen, doch der Gürtel ging auf, und das Kleidungsstück bauschte sich wieder. »So kann ich nirgendwo hin.«
    Aber Hannah hatte sich abgewandt und blickte über den Fluss. Sie begann, an den Fingernägeln zu kauen. »Goblins«, murmelte sie.
    Avi hingegen war mehr mit der Kleiderfrage beschäftigt. Nach einer Weile fiel ihm auch eine Lösung ein, allerdings brauchte er ein wenig Zeit, um den Mut dazu zu fassen.
    Er
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