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Die Frau im Rueckspiegel

Die Frau im Rueckspiegel

Titel: Die Frau im Rueckspiegel
Autoren: Julia Arden
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entkommen.
    Doch Michael hielt sie zurück. »Warte«, rief er, deckte das Mikro wieder ab. »Ich weiß, du hast gleich Feierabend. Aber praktisch stehen mir noch zehn Minuten deiner Zeit zu.«
    »Mann, Micha.« Christiane seufzte. »Ich muß zum Training.«
    Michael notierte etwas auf seinem Block. »Schaffst du doch noch. Ist nur ’ne kurze Tour. Du hast auch was gut bei mir.« Er bestätigte dem Kunden die Angaben und legte auf. Dann riß er den Zettel ab, winkte Christiane damit heran.
    Christiane kannte ihren Chef gut genug. Eine Ablehnung würde ihn ziemlich verstimmen. Im Grunde hatte sie keine Wahl und konnte nur versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. »Aber dann habe ich morgen eine halbe Stunde früher Feierabend.«
    Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Michaels Gesicht aus. »Alles, was du willst, Engelchen.«
    »Von wo nach wo?« fragte Christiane ergeben seufzend.
    »Schneiderei Bergmann, Stresemannstraße 59a, zur Reederei Reklin, Berliner Platz 2.«
    »Von wegen kurze Tour«, brummte Christiane verärgert. Warum fiel sie immer wieder darauf rein? Aber nun hatte sie ja gesagt. Und ein Rückzieher stand sowieso nicht zur Diskussion.
    Den Sitz einer Reederei hätte Christiane in diesem Gebäude als allerletztes vermutet. Das vierstöckige, langgezogene Gebäude stammte nach Christianes Dafürhalten aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Auffällig in der sandfarbenen Fassade waren nur die dunklen Schmuckelemente über den Fenstern, welche, teils als Bogen, teils als Dreieck ausgeführt, diesen eine Art Dach aufsetzten.
    Christiane zog die schwere Eingangstür auf, betrat die hohe, nicht sehr große Halle, in deren Mitte, um eine Säule herum, ein Empfangstresen gebaut war. Sie empfand das Geräusch ihrer Schritte auf dem Marmorfußboden wie die Störung einer bedeutungsvollen Stille. Obwohl es hier absolut nichts Bedeutungsvolles gab. Lediglich eine Empfangsdame, deren Blick sich bei Christianes Eintreten abwartend auf sie richtete.
    »Kuriertaxi. Ich bringe die Lieferung.« Christianes Stimme hallte von den Wänden wider. Sie hielt den in Zellophanfolie gehüllten Anzug hoch. »Von der Schneiderei Bergmann.«
    »Frau Reklins Büro erwartet Sie bereits. Es liegt im vierten Stock. Wenn Sie aus dem Fahrstuhl kommen links. Der Aufzug ist dort drüben.« Die Frau machte eine halbe Drehung und wies hinter sich.
    »Danke.« Christiane ging wie angewiesen und drückte auf den einzig vorhandenen Knopf an der Wand neben der Tür, die sich kurz darauf leise öffnete.
    Oben angekommen, sah Christiane sich um. Hier glich nichts mehr der gediegenen Atmosphäre eines vergangenen Jahrhunderts. Blauer Teppichboden, Radierungen von Containerschiffen und Hafenanlagen in schmalen, schwarzen Rahmen hingen an den Wänden, Milchglastüren gingen rechts und links vom Gang ab, auf dem Christiane sich nun, wie geheißen, nach links wandte.
    Christiane fragte einen vorbeikommenden Angestellten nach dem Büro, welches sie suchte. »Ganz am Ende des Ganges«, lautete die hastige Antwort. »Und Achtung. Sie hat heute keinen guten Tag.«
    Christiane bekam keine Gelegenheit, sich für die Auskunft samt gutgemeintem Rat zu bedanken. Eine Schiffssirene begann von irgendwoher zu tuten. Der Mann zog aus seiner Hosentasche ein Handy hervor und ging weiter. Christiane fand besagtes Büro, klopfte an und trat ein.
    »Kuriertaxi. Ich bringe die Lieferung von der Schneiderei Bergmann«, wiederholte sie ihren Spruch. Den Bügel mit dem eingehüllten Anzug erneut hochhaltend, trat sie nahe zum Schreibtisch, an dem eine junge Frau mit einem Papierchaos mittleren Ausmaßes kämpfte.
    »Ah, die Uniform für den neuen Fahrer. Danke. Hängen Sie sie dorthin.« Die Sekretärin wies zum Kleiderständer neben der Tür.
    Christiane machte kehrt, hängte ihre Lieferung an einen der Haken. Eine Tür öffnete sich in ihrem Rücken, und eine ärgerliche männliche Stimme sagte: »Ja, ja. Ein Planungsteam. Ich habe verstanden. Aber ich werde dem Vorstand meine Bedenken mitteilen. Davon kannst du mich nicht abhalten.«
    »Bitte sehr. Tu das«, sagte eine nicht minder verärgerte Frauenstimme.
    Der Mann stürmte an Christiane vorbei aus der Tür. Gleichzeitig hörte sie dieselbe verärgerte Frauenstimme sagen: »Da sind Sie ja endlich. Warum haben Sie die Uniform noch nicht an?« Irritiert drehte Christiane sich um – und schluckte.
    Wahnsinn! Was für eine Frau! Seidenschwarzes, schulterlanges Haar, große bernsteinfarbene Augen, elegant
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