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Die Frau im Rueckspiegel

Die Frau im Rueckspiegel

Titel: Die Frau im Rueckspiegel
Autoren: Julia Arden
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irrte. Daß sie nicht »nur ein Mädchen« war, bestenfalls gut genug für die Zahlenwelt der Ökonomie. Daß technisches Verständnis keine ausschließlich männliche Domäne war. Sie hatte sich fest vorgenommen, sein konservatives Weltbild, besonders seine geringe Meinung über Frauen, zu korrigieren. Und sei es auch nur in ihrem speziellen Fall.
    Rebecca zwang sich, die Trauer um ihre Mutter zu unterdrücken, schloß ihr Studium mit Bestnoten ab und stürzte sich in die Arbeit in der Reederei, häufig bis zu sechzehn Stunden am Tag. Sie erledigte alle ihr übertragenen Aufgaben schnell und korrekt, schlug Strukturveränderungen vor, die sogar ihr Vater guthieß, und führte die ihr nach drei Jahren übertragene Abteilung mit strengem Regime. Doch am strengsten war Rebecca zu sich selbst. Das alles hatte ihren Vater indes nicht dazu gebracht, ihr die erhoffte Anerkennung zu zollen.
    Rainer Reklins Tod kam überraschend. Mit neunundfünfzig. Niemand rechnete damit, er selbst am wenigsten. Denn sonst hätte er es sicher eingerichtet, daß Marius, der Sohn seines alten Freundes und Teilhabers Schwandte, die Leitung der Reederei übertragen bekam, auch wenn Schwandte nur fünfundzwanzig Prozent der Firmenanteile gehörten. Ganz sicher hatte auch Marius damit gerechnet. Er wußte um die Konflikte in der Familie Reklin. Wußte, daß Rainer Reklin immer einen Sohn wollte, tat alles, dem alten Reklin das Gefühl zu geben, er würde es gern sein.
    »Mein aufrichtiges Beileid.« Rebecca fühlte, wie der Pfarrer ihre Hand in seine nahm. Ihm folgten eine Menge weiterer Hände, kondolierende Worte von Menschen, die Rebecca in der Mehrheit nur flüchtig kannte.
    Später, am Abend, saß Rebecca in ihrem Lieblingssessel, strich mit der Hand sanft über das weiche, alte Polster der Armlehne, sann nach. Nun begann ein Abschnitt in ihrem Leben, den sie herbeigesehnt und gleichzeitig gefürchtet hatte. Nun war sie ganz allein. Auch wenn ihr Vater sie nicht geliebt hatte, gab sein bloßes Dasein ihr doch eine gewisse Sicherheit und nicht zuletzt auch Rückhalt in der Firma. Nun war sie »der Boss«, alle würden auf sie schauen. Ihr Leben würde dadurch nicht einfacher werden.

HEUTE

1
    » I n Zeiten wie diesen, wo sogar Karstadt und Quelle ihre Kaufhäuser schließen, willst du Kreuzfahrten verkaufen? Was für eine absurde Idee!« Marius Schwandte hielt es nicht auf seinem Stuhl. Er sprang auf, fuhr sich mit einer entnervten Handbewegung durchs Haar, schüttelte heftig mit dem Kopf. »Du siehst doch fern, liest Zeitung. Da muß dir doch aufgefallen sein, daß ganz Deutschland von Kurzarbeit und Entlassungen redet. Die Leute haben jetzt andere Sorgen als die, wohin sie in den Urlaub fahren. Selbst die, die es sich noch leisten können, sparen, aus reiner Vorsicht. Um Himmels willen, Rebecca!« Marius hob verzweifelt die Arme. »Kreuzfahrten stehen zur Zeit ganz unten in der Liste der Verkaufsschlager!«
    »Das weiß ich auch«, erwiderte Rebecca gelassen. Sie wippte leicht in ihrem Schreibtischsessel, ihre Augen verfolgten Marius, der aufgeregt vor ihrem Schreibtisch auf und ab lief. »Vorläufig geht es ja auch erst einmal darum, die Schiffe für die Kreuzfahrten zu bauen«, erklärte sie ihrem Teilhaber, nun bereits zum dritten Mal. Warum wollte Marius denn nicht einsehen, daß ihre Idee die ideale Lösung war, die momentane Wirtschaftskrise mit einem blauen Auge zu überstehen? »Wir haben erhebliche Einbußen auf unseren Transportrouten, enorm viele freie Kapazitäten. Wir optimieren die Routen, führen ein paar längst überfällige Verschrottungen älterer Schiffe durch, erhöhen damit die Abschreibungen. Darüber hinaus bauen wir zwei, drei unserer neueren Tanker zu einer kleinen Kreuzfahrtflotte um. Die Rohstoffpreise sind günstig. Überall ist man dankbar für Aufträge. Wir können also preiswert einkaufen. Und unsere Partnerwerft hat Beschäftigung für ihre Mitarbeiter. Es ist genau der richtige Zeitpunkt für diese Idee. In zwei Jahren, wenn die Krise vorbei ist, haben wir neben einer aufgewerteten Transportflotte eine hochmoderne Kreuzfahrtflotte am Start. Wir sind up to date und werden darüber hinaus ein neues Marktsegment erobern.« Rebecca erhob sich nun ebenfalls. »Marius! Das ist allemal besser, als die Hände in den Schoß zu legen, zu warten, daß das Unwetter vorbeizieht, um dann anschließend die Verluste zu zählen.« Sie schlenderte zum Fenster, sah hinaus in den grauen Oktobertag. Regen prasselte an die
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