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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden
Autoren: Audrey Niffenegger
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alles auf einmal zu verschlingen. Ein bisschen Vorfreude würde dem Ganzen vielleicht gut tun.«
    Clare ist verlegen. »Tut mir Leid! Aber weißt du, in meinem Fall dauert die Vorfreude schon Jahre. Und hier geht es ja nicht um Kuchen ... den isst man, und er ist weg.«
    »Nimm, was du kriegen kannst.«
    »Das ist mein Motto.« Sie lächelt frech und stößt ihre Hüften ein paar Mal vor und zurück. Meine Erektion ist mittlerweile so groß, dass sie eine der gewagteren Achterbahnfahrten in den Great America Parks ohne Elternteil bestehen könnte.
    »Du setzt dich wohl oft durch, oder?«
    »Immer. Ich bin schrecklich. Auch wenn du meistens sehr zugeknöpft auf meine schmeichelhaften Avancen reagiert hast. Was habe ich gelitten unter deinen französischen Verben und Damespielen.«
    »Wahrscheinlich sollte mich die Tatsache trösten, dass mein zukünftiges Ich wenigstens über ein paar Waffen verfügt, um dich zu unterwerfen. Machst du das mit allen Jungs so?«
    Clare ist beleidigt, wie ernsthaft, kann ich nicht beurteilen. »Mit Jungs würde ich das nie im Leben machen. Was hast du bloß für schlimme Gedanken!« Sie knöpft mein Hemd auf. »Mein Gott, du bist so ... jung.« Sie zwickt mich fest in die Brustwarzen. Zum Teufel mit der Tugendhaftigkeit. Ich weiß jetzt, wie ihr Kleid aufgeht.
Am nächsten Morgen:
     
    Clare: Ich erwache und weiß nicht, wo ich bin. Eine fremde Zimmerdecke. Fernes Verkehrsrauschen. Bücherregale. Ein blauer Sessel, auf dem mein Samtkleid liegt, darüber eine Krawatte. Dann fällt mir alles ein. Ich drehe mich um, und da liegt Henry. Ganz einfach, als wäre ich mein Leben lang neben ihm aufgewacht. Er schläft hingebungsvoll, in einer unmöglich verdrehten Stellung, wie ein Gestrandeter, ein Arm über den Augen, um den Morgen auszusperren, die langen schwarzen Haare ausgebreitet auf dem Kissen. Ganz einfach. Wir haben uns gefunden. Hier und jetzt, endlich.
    Vorsichtig steige ich aus dem Bett, das gleichzeitig Henrys Sofa ist. Die Federn quietschen. Zwischen Bett und Bücherregalen ist wenig Platz, also schiebe ich mich vorwärts, bis ich im Flur bin. Das Badezimmer ist winzig. Ich komme mir vor wie Alice im Wunderland, als wäre ich riesig groß geworden und müsste den Arm aus dem Fenster strecken, damit ich mich überhaupt umdrehen kann. Der kunstvolle kleine Radiator gibt geräuschvoll Wärme von sich. Ich pinkle, wasche mir Hände und Gesicht. Und dann sehe ich zwei Zahnbürsten, die in einem weißen Porzellanhalter stecken.
    Ich öffne das Arzneischränkchen. Rasierklingen, Rasierschaum, Mundwasser, Kopfschmerzmittel, Rasierwasser, eine blaue Murmel, ein Zahnstocher, Deodorant auf dem oberen Bord. Handcreme, Tampons, ein Diaphragmabehältnis, Deodorant, Lippenstift, ein Fläschchen Multivitamintabletten, eine Tube Spermizid auf dem unteren Bord. Der Lippenstift ist sehr dunkelrot.
    Mit dem Lippenstift in der Hand stehe ich da, mir ist leicht übel. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie aussieht, wie sie heißt. Wie lange sind sie wohl schon zusammen? Wahrscheinlich sehr lange. Ich stelle den Lippenstift zurück, schließe das Schränkchen. Im Spiegel sehe ich mein bleiches Gesicht, die Haare stehen in sämtliche Richtungen ab. Na gut, wer du auch bist, nun bin ich hier. Du magst Henrys Vergangenheit sein, ich aber bin seine Zukunft. Ich muss lächeln. Mein Spiegelbild grinst zurück. Ich leihe mir Henrys weißen Frotteebademantel, der an der Rückseite der Tür hängt. Darunter ist ein hellblauer Morgenrock aus Seide am Haken. Aus irgendeinem Grund tröstet es mich, seinen Bademantel zu tragen.
    Zurück im Wohnzimmer, schläft Henry immer noch. Ich hole meine Uhr vom Fensterbrett, es ist erst 6.30 Uhr. Aber ich bin zu unruhig, um wieder ins Bett zu gehen. Auf der Suche nach Kaffee schlendere ich in die Küche. Alle Flächen und der Herd sind mit Stapeln von Geschirr, Zeitschriften und anderem Lesematerial übersät. In der Spüle liegt sogar eine Socke. Offenbar hat Henry gestern Abend alles wahllos in die Küche gepackt. Dabei hatte ich ihn mir immer sehr ordentlich vorgestellt. Jetzt wird deutlich, dass er zu den Leuten gehört, die pingelig auf ihre äußere Erscheinung achten, insgeheim aber ziemlich schlampig sind. Ich finde Kaffee im Kühlschrank, dann die Kaffeemaschine und werfe sie an. Während ich warte, sehe ich Henrys Bücherregale sorgfältig durch.
    Das ist der Henry, den ich kenne. John Donnes Elegies and Songs and Sonnets. Doctor Faustus von Christopher Marlowe.
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