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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin
Autoren: John Grisham
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auf der zwielichtigeren Seite des Stammbaums seiner Frau hatte es einen Großonkel oder entfernten Cousin namens Burt gegeben. Er hatte vor vielen Jahren in der Nähe von Palmyra gelebt, und es hatte immer Gerüchte über Burts Beziehungen zum Ku-Klux-Klan gegeben.
    Es konnte nicht derselbe Mann sein.
    In seinen dreiundfünfzig Jahren in Ford County hatte Nevin nur von einem einzigen anderen Lynchmord gehört, aber an die Geschichte erinnerte er sich kaum noch. Angeblich hatte sie sich um die Jahrhundertwende ereignet. Alle Zeugen waren tot, die Einzelheiten vergessen. Nevin hatte noch nie einen echten Augenzeugen einen solchen Mord schildern hören. Der arme Ancil. Er hatte so bemitleidenswert gewirkt, mit seinem kleinen runden Kopf und dem zu großen Anzug, wie er sich mit dem Ärmel die Tränen abwischte.
    Ob er nun unter dem Einfluss von Demerol stand oder nicht, es gab keinen Zweifel daran, dass Seth Hubbard gewusst hatte, was er tat.
    Michele Still und Barb Gaston hatten keine Pläne für das Mit tagessen und waren zu aufgewühlt, um klar denken zu können. Sie sprangen in Micheles Auto und verließen Clanton fluchtartig, nahmen ohne ein Ziel vor Augen die erstbeste Straße aus der Stadt. Die Entfernung erwies sich als hilfreich, nach acht Kilometern auf einer verlassenen Landstraße fiel die Spannung von ihnen ab. Sie hielten an einem Gemischtwarenladen, kauf ten Softdrinks und Cracker und saßen dann bei offenen Fenstern im Schatten und ließen einen Soulsender aus Memphis laufen.
    » Wir haben neun Stimmen?«, fragte Michele.
    » Vielleicht sogar zwölf.«
    »Nein, Doley kriegen wir nie.«
    »Irgendwann bekommt der von mir einen Tritt in den Hin tern«, sagte Barb. »Vielleicht heute, vielleicht nächstes Jahr, aber irgendwann erwische ich ihn.«
    Michele brachte ein Lachen zustande, und ihre Stimmung hob sich deutlich.
    Jim Whitehurst fuhr zum Mittagessen ebenfalls nach Hause. Seine Frau hatte Eintopf gekocht, und sie aßen auf der Terrasse. Sonst erzählte er ihr immer alles über das Verfahren, aber das soeben Gehörte wollte er nicht noch einmal durchleben. Doch sie blieb hartnäckig, und sie rührten ihr Essen kaum an.
    Tracy McMillen und Fay Pollan fuhren gemeinsam zu einer kleinen Ladenzeile östlich der Stadt, wo ein neuer Sandwich laden florierte. Die Anstecker mit der Aufschrift »Geschworene« trugen ihnen einige Blicke ein, aber es kamen keine Fragen. Sie fanden eine Sitznische, in der sie sich unterhalten konnten, und w aren sich schon nach wenigen Minuten einig. Seth Hubbard mochte in seinen letzten Tagen nicht mehr ganz auf der Höhe gewesen sein, aber es gab keinen Zweifel daran, dass er alles geplant hatte. Herschel und Ramona hatten bei ihnen ohnehin keinen guten Eindruck hinterlassen. Es gefiel ihnen nicht, dass eine schwarze Haushälterin das gesamte Geld bekommen sollte, aber, wie Jake Brigance gesagt hatte, es war nicht an ihnen, darüber zu entscheiden. Es war nicht ihr Geld.
    Für die Hubbards hatte sich der Vormittag, der so vielversprechend begonnen hatte, in einen demütigenden Albtraum verwandelt. Alle Welt hatte die Wahrheit über ihren Großvater erfahren, einen Mann, den sie kaum gekannt hatten, und der Name ihrer Familie würde nun für immer besudelt sein. Mit dem Makel konnten sie leben, aber das Geld zu verlieren war eine Kata strophe. Plötzlich wären sie am liebsten im Erdboden versunken. Sie rasten zum Haus ihrer Gastgeber draußen beim Country Club und schenkten sich das Mittagessen, während sie darüber debattierten, ob sie zum Gericht zurückkehren sollten.
    Lettie und Portia fuhren in der Pause zum Sappington-Haus, aber an Mittagessen war nicht zu denken. Stattdessen gingen sie in Letties Schlafzimmer, zogen die Schuhe aus, legten sich Seite an Seite auf das Bett, nahmen sich an den Händen und brachen in Tränen aus.
    Ancils Geschichte hatte so viele offene Fragen beantwortet.
    Ihre Gedanken überschlugen sich, und es gab kaum Worte dafür. Die Gefühle waren zu heftig. Lettie dachte an ihre Großmutter Esther und deren entsetzliches Schicksal. Und an ihre Mutter, ein kleines Mädchen ohne Kleider, ohne Essen, ohne ein Dach über dem Kopf.
    »Woher wusste er es, Mom?«, fragte Portia.
    »Wer? Was?«
    »Seth Hubbard. Woher wusste er, wer du bist? Wie hat Seth Hubbard herausgefunden, dass du die Tochter von Lois Rinds bist?«
    Lettie starrte auf den sich drehenden Deckenventilator und hatte nicht die geringste Ahnung, was sie antworten sollte. »Er war ein sehr
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