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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals
Autoren: Alexander Nemirowski
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wenn sie getäuscht werden. Das ist für einen Staatsmann keine nützliche Eigenschaft. Präge dir diese Eigenheiten der Numidier ein. Es wird dir ein leichtes sein, dich mit Masinissa anzufreunden. Um so mehr, als du seine Sprache sprichst." 
    „Ist dies dein Auftrag, Vater?"
    „Ja. Du sollst das Herz des jungen Numidiers gewinnen. Vielleicht glaubst du, dieser Auftrag sei eines Kriegers unwürdig. Aber bedenke, daß die Zukunft der Republik Karthago davon abhängt, ob Gulas Nachfolger unser Freund wird oder nicht. Als Karthago in Gefahr war, verheiratete ich deine Schwester Salambo mit Gulas Bruder. Ich opferte sie, um die Republik zu retten. Und das gelang. Mit Hilfe der numidischen Reiterei konnten wir die Meuterei der Söldner und Sklaven niederschlagen."
    „Ich hörte, daß Salambo an dem Tage starb, als die Gefangenen in die Stadt gebracht wurden, weil ihr Herz das Schauspiel der Folterungen und Hinrichtungen nicht ertrug. Ist das wahr?"
    „Ja, sie wurde geopfert, um die Stadt Karthago zu retten. Hätte ich noch eine Tochter, dann würde ich sie sofort mit Masinissa, Gula oder gar mit Syphax verheiraten, denn in einem neuen Krieg gegen die Römer müssen die Numidier unbedingt auf unserer Seite stehen!" 
    Noch am selben Tag nahm Hannibal Abschied von seinen Brüdern, von Sosylos, Magarbal und den anderen Lehrern, strahlend vor Stolz, Schickte der Vater ihn doch zum erstenmal mit einem wichtigen Auftrag auf Reisen.
     
     
Numidien
     
    Dieses hügelige Grasland kannte den Pflug noch nicht. Am Horizont versank eine Gebirgskette im blaugrauen Dunst. Betäubend duftete das Gras. Die hohen Blumenstauden streiften Hannibals Füße, wenn er an ihnen vorüberritt, und hinterließen auf seinen Sandalen gelben Blütenstaub. Oft sprangen unmittelbar vor den Pferdehufen kleine Tiere auf, die den iberischen Kaninchen ähnelten. Wildziegen ergriffen eilig die Flucht.
    Masinissa ritt neben Hannibal. Er war barfuß und hatte einen kahlrasierten Schädel. Nur am Hinterkopf war eine kriegerische Haarsträhne stehengeblieben.
    Gula hatte Masinissa befohlen, den jungen Karthager an den See zu bringen, wo die Elefanten gefangen und dressiert wurden, und zum Abschied gesagt: „Hannibal ist unser Gast!" Masinissa begriff, was das bedeutete. Jeder Wunsch des Gastes war Gesetz, und es gab kein schlimmeres Verbrechen vor den Göttern, als einen Gast zu beleidigen oder sonstwie schlecht zu behandeln.
    Masinissa war ein leidenschaftlicher Jäger. Wenn ihm ein Wild vor die Augen kam, streckte er unwillkürlich die Hand nach Pfeil und Bogen aus, aber bei Hannibals Blick strich er dann nur seinem Pferd über die Mähne, in der weiße Schaumflocken hingen. Er merkte, daß es der Karthager eilig hatte, die Elefanten zu sehen.
    Hannibal staunte über die Schnelligkeit der numidischen Pferde. Unermüdlich galoppierten sie dahin, mit harmonischen Bewegungen ihrer langen, schlanken Beine. Manchmal wieherten sie aufgeregt; dann witterten sie Schlangen oder Raubtiere, die sich im hohen Gras verbargen. Unterwegs erblickte Hannibal wiederholt numidische Zelte, die umgekippten Schiffen ähnelten. Die Numidier waren Nomaden, die mit ihren Herden umherzogen, und keiner wußte genau, an welchem Ort er geboren war und wo seine Vorfahren begraben lagen. Während des langen Ritts durch Gulas Reich konnte Hannibal nirgendwo Äcker oder Obstbäume entdecken. Die Numidier kauften das Mehl von den Karthagern und nährten sich hauptsächlich von Ziegenmilch, Wildbret, Weichtieren und Honig.
    Einmal erblickte Hannibal auf einem Hügel ein Kreuz, an dem eine menschliche Gestalt zu hängen schien. Wegen der großen Entfernung konnte er sie nicht genau erkennen.
    „Ein Flüchtling?" fragte er, denn die Karthager kreuzigten widerspenstige oder entflohene Sklaven.
    Der junge Numidier schüttelte verständnislos den Kopf. Als sie sich dem Kreuz näherten, stellte sich heraus, daß kein Mensch daran hing, sondern ein gewaltiger Löwe mit zottiger Mähne, die Hannibal von weitem für einen Sack gehalten hatte, den man einem Gekreuzigten über den Kopf stülpte. Das Tier war von beherzten numidischen Hirten erlegt und ans Kreuz genagelt worden, um andere Raubtiere von den Herden zu verscheuchen. Etwas ähnliches taten in Karthagos Umgebung die Ackerbauern, wenn sie einen Raben an die Spitze einer Stange banden und diese auf freiem Feld aufpflanzten. Masinissa verstand Hannibal wohl auch deshalb nicht, weil die Numidier entweder keine Sklaven besaßen oder sie
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