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Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Titel: Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
Autoren: Jessica Khoury
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wenigsten eilig hat.«
    Weil du ewig Zeit hast, denkt er bestimmt. Ich schaue ihn an und frage mich – nicht zum ersten Mal –, wie es wohl ist, mit dem Wissen leben zu müssen, dass man eines Tages einfach aufhört zu existieren.
    Onkel Antonio kratzt sich den Bart. Er ist dicht und lockig und gibt ihm Ähnlichkeit mit einem Wollaffen. »Was hat er gesagt? Nachdem es vorbei war?«
    »Was er immer sagt. Dass ich perfekt war und bestanden habe.«
    »Perfekt«, schnaubt er.
    »Wie? Glaubst du etwa nicht, dass ich perfekt bin?« Ich kann nicht widerstehen, denn es ärgert ihn jedes Mal, wenn ich auf dieses Thema komme. »Ich kann bis zu fünfzig Kilometer laufen, ohne eine Pause zu machen. Ich kann aus dem Stand zwei Meter hoch springen. Kein Material auf dieser Welt kann meine Haut verletzen. Ich kann nicht ertrinken und nicht ersticken. Ich bin gegen sämtliche bekannten Krankheiten immun. Mein Gedächtnis ist unfehlbar. Meine Sinne sind schärfer als die jedes anderen Menschen. Meine Reflexe reichen an die einer Katze heran. Ich werde nie alt« – meine Stimme versagt, meine ganze Selbstgefälligkeit ist plötzlich dahin – »und ich werde nie sterben.«
    »Perfekt ist nur, wer sich perfekt verhält, Pia«, flüstert Onkel Antonio.
    Ich muss fast lachen über dieses Klischee, doch er schaut so ernst, dass ich mich beherrsche.
    »Wenn du doch so perfekt bist, Chipmunk«, fährt er fort, »warum lässt er dich dann immer weiter diese Tests machen?«
    »Das ist nicht fair, das weißt du ganz genau.«
    »Hast du je daran gedacht…« Er hält inne und schüttelt den Kopf.
    »Was? Woran soll ich gedacht haben?«
    Er blickt sich rasch um, bevor er antwortet. »Du weißt schon, einmal nicht zu bestehen.«
    »Absichtlich durchzufallen? Warum? Nur damit ich keine weiteren Tests durchlaufen muss?«
    Er antwortet mit einer Geste, die ganz genau bedeutet.
    »Weil, Onkel Antonio, ich dann nie ins Immortis-Team aufgenommen werde. Ich würde nie erfahren, wie sie mich erschaffen haben, wie sie mich so gemacht haben, wie ich bin.« Und ich könnte nie mithelfen, andere von meiner Art zu erschaffen. »Du weißt so gut wie ich, dass ich das Geheimnis von Immortis erst erfahre, wenn ich zum Team gehöre. Es sei denn« – ich lächle ihn auffordernd an – »du willst es mir verraten.«
    Onkel Antonio seufzt. »Hör auf, Pia.«
    »Komm schon, sag es mir. Von der Elysia-Blüte weiß ich schon… aber was ist mit dem Katalysator? Wie wird Immortis hergestellt?«
    »Du weißt genau, dass ich es dir nicht verraten darf, also hör auf zu fragen.«
    Ich beobachte ihn genau, doch wenn er will, kann er ein genauso ausdrucksloses Gesicht machen wie Onkel Paolo. Einen Augenblick später erreichen wir das Tierhaus, doch anstatt hineinzugehen, bleibe ich vor der Tür stehen.
    »Was ist?«, fragt Onkel Antonio.
    Ich schaue auf die Ammer hinunter. Die Flügel liegen ausgebreitet auf meinen Handflächen und den Kopf hält sie unnatürlich ruhig. Ich spüre den Schlag ihres winziges Herzens, obwohl er so schwach und kaum wahrnehmbar ist.
    In diesem Augenblick will ich nicht mehr die perfekte, gehorsame Wissenschaftlerin sein. Ich verhalte mich völlig irrational und werde es in der nächsten Minute wahrscheinlich bitter bereuen, aber ich öffne die Hände noch weiter, hebe die Ammer hoch und werfe sie vorsichtig in die Luft. Überrascht und desorientiert sackt sie mindestens dreißig Zentimeter nach unten, bevor sie die Flügel ausbreitet. Dann fliegt sie dem Himmel entgegen, hoch über das Dach des Tierhauses und verschwindet in der Dämmerung.

2
    Als ich am nächsten Morgen aufwache, tobt ein Gewitter.
    Ein starker Wind peitscht durch die Bäume über mir und alle paar Sekunden zucken Blitze über sie weg wie die weißen Äste eines größeren Himmelsbaumes. Der Donner grollt so tief, dass ich ihn im Brustkorb spüre.
    Einen Augenblick lang liege ich einfach nur im Bett und schaue nach oben. Ich liebe Gewitter. Ich liebe die rohe, unberechenbare Kraft, die die Luft zerreißt, den Dschungel zum Beben bringt und die Grenze zwischen Erde und Himmel durchfährt. Die Blitze erfüllen mein Zimmer mit gleißendem Licht und lassen meine helle Haut noch weißer erscheinen. Die Lianen in den Bäumen draußen züngeln hin und her wie Schlangen.
    Erst nach etlichen Minuten hieve ich mich aus dem Bett und tappe gähnend ins Bad. Während ich mir die Zähne putze, flackern die Lampen über dem Spiegel. Durch das Gewitter gibt es anscheinend Störungen in der
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