Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
1880 zur Welt gekommen war: das einzige Mädchen unter insgesamt fünfzehn Kindern. Vielleicht entbehrte Fee die protestantischen Rituale ihrer Jugend, die einfacher und nüchterner gewesen waren. Anmerken ließ sie sich davon jedoch nichts. Sie respektierte Paddys religiöse Überzeugungen und besuchte mit ihm die Messe. Auch sorgte sie dafür, daß ihre Kinder ausschließlich an einen katholischen Gott glaubten. Aber da sie nie konvertiert war, fehlte es denn doch an gewissen Dingen, zum Beispiel an den Tisch- oder den Gute-Nacht-Gebeten - eben an ausgeübter Alltagsfrömmigkeit.
    Außer der einen Fahrt vor nunmehr anderthalb Jahren hatte Meggie noch keine weitere gemacht. Damals war es nach Wahine gegangen, wo sie im General Store dann Agnes gesehen hatte. Aber das war auch alles gewesen. Sonst war sie noch nie von zu Hause fortgekommen.
    Am Morgen ihres ersten Schultages war sie so aufgeregt, daß sie ihr Frühstück erbrach. Also mußte sie gesäubert werden. Also blieb gar nichts anderes übrig, als ihr das schöne neue marineblaue Kleid mit dem großen weißen Matrosenkragen auszuziehen und sie wieder in diesen scheußlichen braunen wollenen Fetzen zu stecken, der sie am Hals immer zu würgen schien, weil er zu eng schloß. »Und, Herrgott noch mal, Meggie, wenn dir das nächste Mal übel wird, dann sag mir das!
    Sitz nicht einfach da, bis es zu spät ist! Und jetzt mußt du dich beeilen, denn wenn du zu spät kommst, gibt Schwester Agatha dir bestimmt was mit dem Stock. Benimm dich und halte dich an deine Brüder.«
    Als Fee Meggie schließlich zur Tür hinausschob, hüpften Bob, Jack, Hughie und Stu am Vordertor bereits ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
    »Los, Meggie, sonst kommen wir zu spät!« rief Bob und setzte sich in Bewegung.
    Seine Brüder folgten ihm, und Meggie ihrerseits folgte den Jungen. Um einigermaßen mitzuhalten, mußte sie in eine Art Laufschritt fallen.
    Es war kurz nach sieben. Die sanfte Sonne schien schon seit mehreren Stunden, und nur an schattigen Stellen fand sich auf dem Gras noch Tau. Die Straße nach Wahine war eigentlich nur ein Feldweg mit zwei tiefen Furchen, den Spuren rollender Wagenräder. Im hohen Gras zu beiden Seiten blühten mit üppiger Pracht rötliche Kapuzinerkresse und weiße Calla. Dahinter befanden sich Holzzäune, die fremden Besitz begrenzten oder präziser: vor dem Eindringen Unbefugter schützten oder doch schützen sollten. Auf dem Weg zur Schule marschierte Bob immer oben auf den Zäunen zur rechten Hand entlang, wobei er seine Schultasche gern auf dem Kopf balancierte. Die Zäune zur linken Hand waren gleichsam Jacks Revier, so daß für die drei jüngeren Clearys die »Straße« blieb. Es ging einen ziemlich steilen Anstieg hinauf, und oben, wo die Robertson-Straße in die Wahine-Straße mündete, blieben sie einen Augenblick keuchend stehen, fünf leuchtend rote Schöpfe vor dem weißblauen Himmel. Jetzt ging es hügelabwärts, und das ließ man sich schon eher gefallen: Die Kinder faßten sich bei den Händen und liefen den grasbewachsenen Wegrand hinab, bis er unter einem wahren Blumengewirr gleichsam verschwand. Hätten sie nur Zeit dafür gehabt, so wären sie unter Mr. Chapmans Zaun hindurchgekrochen, um wie Steinbrocken den Hang hinunterzukugeln.
    Vom Cleary-Haus bis Wahine waren es etwa acht Kilometer, und als Meggie in der Ferne endlich die Telegraphenpfähle sah, zitterten ihr die Beine. Bob warf ihr ungeduldige Blicke zu. Seine Ohren waren gleichsam schon für das Läuten der Schulglocke gespitzt. Das Gesicht seiner kleinen Schwester war ziemlich rot und wirkte dennoch irgendwie blaß. Seufzend gab Bob seine Schultasche Jack. »Komm, Meggie«, sagte er brummig. »Das letzte Ende trage ich dich huckepack.« Scharf musterte er seine Brüder: Daß die ja nicht glaubten, er sei im Gemüt jetzt plötzlich pflaumenweich! Meggie kletterte auf seinen Rücken und machte sich’s dort bequem. Jetzt konnte sie sich in aller Behaglichkeit Wahine ansehen. Viel zu sehen gab es da allerdings nicht. Wahine war kaum mehr als ein großes Dorf, zu beiden Seiten einer in der Mitte geteerten Straße gelegen. Das größte Gebäude war das zweistöckige Hotel. Dort überspannte ein von Pfeilern gestützter Baldachin den Gehsteig, hauptsächlich zum Schutz gegen die Sonne. Das zweitgrößte Gebäude war der General Store, der sich gleichfalls einer solchen schützenden Plane rühmen durfte. Außerdem standen vor seinen vollgepfropften Fenstern Sitzbänke,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher