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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
Autoren: Annette Großbongardt
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ein.
    Polen hat sich diesem dunklen Fleck seiner Vergangenheit gestellt. In dem Prozess gegen den Lagerkommandanten Czeslaw Geborski schilderten Zeugen 2001 die Grausamkeiten in Lambinowice: Frauen wurden wahllos erschossen, Kinder starben an Hunger und Krankheit, allein bei einem
Barackenbrand am 4. Oktober 1945 kamen 48 Menschen um. Johlende Wächter sollen sie in die Flammen getrieben haben. An den Deutschen entlud sich die Wut der Polen über Jahre der Unterdrückung und unvorstellbarer Massenverbrechen, begangen durch die Besatzer. Heute ist Lambinowice eine Gedenkstätte, sie würdigt polnische und deutsche Opfer. Die Eltern von Norbert Rasch haben so etwas Schlimmes nicht erlebt. Als Facharbeiter in einem Landwirtschaftlichen Kollektivbetrieb in Proskau, heute Prószków, wurden sie gebraucht. Mit ihnen blieben noch hunderttausend andere, viele, weil sie mit Polen verheiratet waren oder weil sie als Fachkräfte gebraucht wurden. Sie wurden geduldet, aber Deutsche durften sie nicht mehr sein.
    Die polnischen Kommunisten stilisierten sich in ihrer Propaganda zur einzigen Gegenmacht zum vermeintlichen »Bonner Revisionismus«, der angeblich nur darauf lauerte, Polen Schlesien wieder abzunehmen. Unmöglich war es Warschau, eine deutsche Minderheit im Land zu dulden, die in ihren Augen der Bundesrepublik als fünfte Kolonne hätte dienen können. Also setzten sie alle Kräfte daran, die letzten Deutschen zu Polen zu machen. In den fünfziger Jahren durften die Raschs und ihre Landsleute nicht einmal im Privaten ihre Muttersprache benutzen, deutsche Friedhöfe wurden planiert, deutsche Denkmäler geschleift.
    Erst in den siebziger Jahren änderte sich das Klima. Pragmatiker, die dem siechen Sozialismus mit Westkrediten eine Scheinblüte verschafften, übernahmen die Führung in der regierenden Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Für sie waren die Deutschen vor allem Devisenbeschaffer: Gegen Milliardenkredite aus der Bundesrepublik ließen sie die Deutschen laufen. Tausende zogen als Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Ihre Autos sollen sich auf der Straße von Oppeln Richtung Breslau zeitweise gestaut haben.

    Heute dürfen Polen, die von einem deutschen Volkszugehörigen abstammen, der als Spätaussiedler anerkannt ist, mit diesem gemeinsam als Deutsche in die Bundesrepublik einreisen. Norbert Raschs Eltern beantragten ihre Ausreise dennoch vergebens. Die polnischen Behörden verweigerten sie, ohne Begründung. Raschs drei Geschwister und die Oma mütterlicherseits schafften es schließlich und wohnen heute bei Hannover.
    Er ist geblieben, denn er ist ein Kind der Wende, hat erlebt, wie die Freiheit nach Polen kam und die Deutschen sich plötzlich nicht mehr verstecken mussten. Rasch beneidet seine Geschwister nicht. Und er spricht heute selbstverständlich mit seinen beiden Kindern Filip und Paulina Deutsch zu Hause. Auch seine Frau gehört der Minderheit an. »In unserer Geschichte und damit auch in unserer Kultur klafft ein Loch«, sagt er. 40 kommunistische Jahre lang haben sich die verbliebenen Deutschen in Schlesien weggeduckt, ihre Trachten im Schrank eingemottet und gewartet. Kein Verlag druckte schlesisch-deutsche Prosa, kein Theater spielte Stücke auf Deutsch, kein Künstler durfte seine deutsche Identität ausdrücken, und es gab keine schlesische Rockband mit deutschen Texten.
    Deshalb ist die Kultur der Deutschen in Polen eine Kultur der Volkslieder, der Trachten, der Bräuche, der Kloßrezepte, eine ländliche Kultur, die in der Vorkriegszeit stehengeblieben ist.
    Am Wochenende tut Norbert Rasch, was er kann, um die verlorene Zeit aufzuholen. Er zieht Kniehosen an, eine Trachtenweste und schlingt einen bestickten Schlips um. Mit dem – deutschstämmigen – Oppelner Landrat Henryk Lakwa, dessen Frau Klaudia und dem Gitarristen Hubert Pelka singt er im Proskauer Echo. Die Truppe hat es zu einiger Berühmtheit im Oppelner Land gebracht. Meistens
treten sie in Kirchen auf. »1991 durften wieder deutsche Gottesdienste abgehalten werden«, sagt Rasch. »Ich sah, wie alte Männer und Frauen Rotz und Wasser weinten, als zum ersten Mal wieder öffentlich deutsche Lieder gesungen wurden. Das hat mich sehr beeindruckt.«
    In den Liedern vom Proskauer Echo geht es viel um die Hügel, Wälder und kleinen Dörfer. »Sehnsucht nach Schlesien« heißt einer der größten Hits des Quartetts. »Gerade in Zeiten der Globalisierung ist es wichtig, das Eigene zu bewahren«, sagt Rasch. Das Schlagzeug
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