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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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gefressen hatte. An einem Fichtenstamm, an dem ein Rentier seine Kopfzweige gescheuert hatte, stellte sich Wolf auf die Hinterläufe und kaute an den köstlichen, blutbeschmierten Rindenstücken.
    Aber es gab auch Dinge, die ihm Sorgen machten.
    Es war so kalt, dass der Boden unter seinen Pfoten sich wie Stein anfühlte und selbst die Bäume vor Kälte zitterten. Diese Kälte war eigenartig. Gefährlich.
    Groß Schwanzlos hielt etwas geheim. Er hatte Wolf gesagt, er würde auf die Jagd gehen, aber Wolf spürte, dass er nicht hinter Beute her war. Warum hatte ihm Groß Schwanzlos nichts gesagt? Wieso hatte er Geheimnisse vor seinem Rudelgefährten?
    Noch schlimmer war, dass die Steingesichtige in Wolfs Schlaf erschienen war. Sie war aus dem fauchenden Dunkel gekommen und Wolfs Nackenhaare hatten sich vor Entsetzen gesträubt. Ihr Jaulen, spitz wie Knochensplitter, hatte sich in sein Ohr gebohrt. Ihr Geruch hatte nach Ohn-Hauch gerochen, ihr entsetzliches Gesicht war starr gewesen: Die Augen hatten wie Löcher ausgesehen und ihre Schnauze hatte sich nicht bewegt. Als Wolf sich vor ihr weggeduckt hatte, hatte sie die Vorderpfote in das Helle-Tier-das-heiß-beißt getaucht – und sie dann heil daraus hervorgezogen.
    Beim Aufwachen war die Steingesichtige verschwunden. Jetzt aber, während Wolf der Spur eines Rehbocks durch die Weidenröschen folgte, fragte er sich, ob ihn Groß Schwanzlos deswegen verlassen hatte. Jagte er das Steingesicht?
    Falls das stimmte, kam er ohne seinen Rudelgefährten nicht weit. Aber wie konnte Wolf mit ihm gehen, wenn er sich um die Kleinen kümmern musste?
    Mit einem Mal stieg ihm ein übler Geruch in die Nase. Es roch nach Steingesicht und ungezähmter Mordlust. Und es roch nach Eule.
    Wolfs Fell sträubte sich.
    Der Rehbock war mit einem Mal vergessen. Wolf hetzte dem Geruch hinterher.
     
    Es war die Zeit, in der das Licht allmählich wechselt. Die Clans nennen sie die Dämonenzeit.
    Rip und Rek waren seit geraumer Zeit auffallend unruhig, aber Torak kam einfach nicht dahinter, warum. Vielleicht erging es den Raben wie ihm und sie vermissten Renn und Wolf. Vielleicht lag es auch an der seltsamen windstillen Kälte.
    Hungrig machte er auf einer Klippe über dem Fluss halt, weckte ein Feuer und aß einen Streifen geräuchertes Pferdefleisch. Das Steilufer verwehrte ihm nach wie vor den Weg zum Fluss und so hatte er mehr als den halben Weg zum Lager der Wölfe zurücklaufen müssen. Torak hatte wahrlich keinen Grund, stolz auf sich zu sein.
    Er warf ein paar Brocken für Rip und Rek in das Farnkraut, die sie jedoch zu seiner Überraschung verschmähten. Stattdessen ließen sie sich auf der Spitze einer Kiefer nieder und stießen lang gezogene, durchdringende Warnrufe aus: Krak – Krak – Krak. Eindringling.
    Torak suchte kurz die nähere Umgebung ab, fand jedoch nichts.
    Unter aufgeregtem Krächzen flogen die beiden davon.
    Wenn man mit Raben unterwegs ist, nimmt man sich besser vor ihren Warnungen in Acht. Mit gezücktem Messer machte sich Torak auf eine zweite, gründlichere Suche.
    Am Fuß eines Felsvorsprungs, nicht weit von seiner Feuerstelle entfernt, entdeckte er ein auffallend großes Eulengewölle: länger als seine eigene Hand und dreimal so dick wie sein Daumen. Er betrachtete das Knäuel aus zusammengepressten Fellresten und Knöchelchen, die hauptsächlich von Wiesel und Hase stammten, aufmerksam und ohne es zu berühren. Kein Wunder, dass die Raben Reißaus genommen hatten. Die Adlereule war der ärgste Feind vieler Tiere.
    Torak stellte sich vor, wie der mächtige Vogel auf den Felsen über ihm kurzen Prozess mit seiner Beute machte: Er riss sein Opfer auseinander, verschlang es mit Haut und Haaren und würgte dann die Knöchlein hervor.
    Er richtete sich auf. Sein Blick schweifte suchend über die Felswände.
    Gerade hatte er noch aufmerksam einen zerklüfteten Vorsprung gemustert, als die Adlereule plötzlich ihre spitzen gefiederten Ohren aufstellte und ihn anzischte.
    Sie war so nahe, dass er sie hätte berühren können. Vor Schreck wie gelähmt, nahm er die mächtigen Klauen, den grausamen gebogenen Schnabel und die starren orangefarbenen Augen wahr. Dann wich er zurück. Ihre Pupillen glichen schwarzen Löchern, in denen nichts zu erkennen war als die Lust, alles zu zerstören.
    Mit einem durchdringenden Schrei breitete sie die Schwingen aus und flog so dicht über Toraks Kopf davon, dass er sich ducken musste.
    Er sah der Adlereule nach, bis sie im Wald
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