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Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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hatten und jetzt erst allmählich zurückgedrängt wurden, sowie die Neffen der Päpste, die aufgrund ihrer Blutsverwandtschaft mit dem Pontifex maximus weitreichende Privilegien genossen, nicht zuletzt immerwährenden Zugang zum Herrscher. Verglichen mit diesen Protagonisten der päpstlichen Politik stand der alte, gelehrte und fromme Kardinal de Borja tief im Schatten.
    Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet war er jedoch der Größte. Für seine Landsleute aus Valencia, die in ihm eine nützliche Anlauf- und Förderungsstation in Rom fanden, war er der bewunderte und umschmeichelte Patron. Als einer von weniger als zwei Dutzend potentiellen Papstwählern, die zugleich die einzigen aussichtsreichen Kandidaten auf die höchste Würde der Kirche waren, war er überdies ungeachtet seiner Schwächen ein Machtfaktor, mit dem man rechnen musste, und entsprechend umworben. Für seine Familie schließlich war er alles zusammen in höchster Potenz: finanzieller Sanierer, Prestigemehrer und Karriereförderer in einem. In einer Zeit, in der das Individuum als solches eher wenig, die Familie dafür umso mehr zählte, richteten sich alle Augen des weit verzweigten Verwandtschaftsverbandes und darüber hinaus die Aufmerksamkeit von deren Freunden und Gefolgsleuten auf ihn.
    Im Mittelpunkt des Interesses und der Huldigung standen darüber hinaus seine engsten Angehörigen. Da es Alonso de Borja im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen mit dem Zölibat ernst nahm und auch sonst einen sittlich strengen, für lässlichere Zeitgenossen geradezu altväterlich rigorosen Lebensstil wählte, kamen als Meistbegünstigte seiner Karriere keine eigenen Kinder, sondern nur die Kinder seiner Schwester Isabel in Frage. Aus deren Ehe mit Don Jofre de Borja, einem Vertreter der Hauptlinie, waren zwei Söhne hervorgegangen, der 1431 geborene Rodrigo und der wahrscheinlich ein Jahr jüngere Pedro Luis.
    Die beiden Neffen wurden standesgemäß erzogen, denn ein Kardinal war schließlich ein Fürst, und auch dieser klerikale Adel verpflichtete; zugleich schuf er Vorrechte und Freiräume. So ist überliefert, dass Rodrigo mit seiner verwitweten Mutter im Bischofspalast von Valencia Quartier bezog, wo sein Onkel ja nicht residierte. Die Rangerhöhung galt für die ganze Familie. Nach diesem zeitüblichen, doch unterschiedlich auslegbaren Grundsatz handelten die de Borja schon früh. Und früh sollte sich auch zeigen, dass sie diese «Miterhebung» der ganzen Sippe von Karrierestufe zu Karrierestufe sehr weitherzig auslegten.
    Blut ist dicker als Wasser, so erklärten die meisten Zeitgenossen diese Bevorzugung der eigenen Verwandtschaft durch die Mächtigen der Zeit. Die Gelehrten steuerten überdies einen klassischen Begriff bei. Pietas , so hieß die Tugend, die erfolgreiche Aufsteiger zu bewähren hatten, falls sie das Stigma der hässlichen Parvenüs ablegen wollten. Pietas bedeutet wörtlich Frömmigkeit; damit war um 1500 nicht in erster Linie «Gottesgläubigkeit» gemeint, sondern fromm war, wer seine Pflichten erfüllte, wer tat, was «sich frommte». So war es ein Gebot der Frömmigkeit, sein förderndes Umfeld an den Segnungen der eigenen Karriere teilhaben zu lassen. Pietas hieß also, Dank für Unterstützung abzustatten, uneigennützig zu handeln und den eigenen Ruhm nicht sich selbst, sondern Gott und seinen nützlichen Freunden zuzuschreiben. Konkret verpflichtete pietas einen Kardinal wie Alonso de Borja dazu, seine Verwandten und Gefolgsleute gegen Armut und Elend zu schützen und seinen Neffen zum Eintritt in vielversprechende Laufbahnen in der Kirche oder im Fürstendienst zu verhelfen.
    Weiter reichten diese Verpflichtungen keineswegs, alles, was darüber hinausging, war moralisch umstritten, auch wenn es zunehmend zur gängigen Praxis wurde. Zur pietas in einem mehr landsmannschaftlichen Sinne gehörte, dass Alonso de Borja seine Geburtsstadt Játiva mit einer Kollegiatskirche und auf diese Weise mit Kanonikaten ausstattete; eine entschieden familienbezogene pietas zeigte sich daran, dass seinem Lieblingsneffen Rodrigo in jugendlichem Alter eine dieser lukrativen Pfründen übertragen wurde. Ebenso zeitüblich wie diese materielle Grundausstattung von Kindesbeinen an war die frühe «Berufswahl» durch den Onkel. Dieser bestimmte den Neffen für die geistliche Laufbahn, nach Eignung oder Neigung wurde dabei nicht gefragt. Aber es gab auch keine geregelte Ausbildung zum Kleriker; nur eine kleine Minderheit unter den Päpsten und
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