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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel
Autoren: Günter Grass
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auch zumeist schlafend, bis zum heutigen Tage, da ich meinen dreißigsten Geburtstag feiere, und nimmt verschiedene Gestalt an: So kann er das Wörtchen Goethe sein, das mich aufschreien und ängstlich unter die Bettdecke flüchten läßt. So sehr ich auch von Jugend an den Dichterfürsten studierte, seine olympische Ruhe ist mir schon immer unheimlich gewesen. Und wenn er heute verkleidet, schwarz und als Köchin, nicht mehr licht und klassisch, sondern die Finsternis eines Rasputin überbietend, vor meinem Gitterbett steht und mich anläßlich meines dreißigsten Geburtstages fragt: »Ist die Schwarze Köchin da?« fürchte ich mich sehr.
    Jajaja! sagte die Eisenbahn, die den flüchtenden Oskar nach Paris trug. Eigentlich hatte ich die Beamten der internationalen Polizei schon auf dem Pariser Nordbahnhof — Gare du Nord, wie der Franzose sagt — erwartet. Doch nur ein Gepäckträger, der so vorherrschend nach Rotwein roch, daß ich ihn beim besten Willen nicht für die Schwarze Köchin halten konnte, sprach mich an, und ich gab ihm vertrauensvoll mein Köfferchen, ließ es bis kurz vor die Sperre tragen. Dachte ich mir doch, die Beamten und auch die Köchin werden die Kosten einer Bahnsteigkarte gescheut haben, werden dich hinter der Sperre ansprechen und verhaften. Du handelst also klug, wenn du dein Köfferchen noch vor der Sperre an dich nimmst. So mußte ich den Koffer alleine bis zur Metro schleppen, denn nicht einmal die Beamten waren da und nahmen mir das Gepäck ab.
    Ich will Ihnen nichts über den weltbekannten Geruch der Metro erzählen. Dieses Parfüm kann man, wie ich neulich las, kaufen und sich anspritzen. Was mir auffiel, war, daß erstens die Metro gleich der Eisenbahn, wenn auch mit anderem Rhythmus, nach der Schwarzen Köchin fragte, daß zweitens allen Mitreisenden die Köchin gleich mir bekannt und fürchtenswert sein mußte, denn um mich herum atmeten alle Angst und Schrecken aus. Mein Plan war, mit der Metro bis zur Porte d'Italie zu fahren und von dort ein Taxi zum. Flugplatz Orly zu nehmen; stellte ich mir doch eine Verhaftung, wenn schon nicht auf dem Nordbahnhof, dann auf dem berühmten Flugplatz Orly — die Köchin als Stewardeß — besonders pikant und originell vor. Einmal mußte ich umsteigen, war froh über mein leichtes Köfferchen und ließ mich dann von der Metro in Richtung Süden entführen, überlegte: wo steigst du aus, Oskar — mein Gott, was alles an einem Tag passieren kann: heute früh leckte dich noch kurz hinter Gerresheim eine Kuh, furchtlos und fröhlich warst du, und jetzt bist du in Paris - wo wirst du aussteigen, wo wird sie dir schwarz und schrecklich entgegenkommen? Place d'Italie oder erst an der Porte?
    Ich stieg eine Station vor der Porte, Maison Blanche, aus, weil ich mir dachte: die denken natürlich, ich denke, sie stehen an der Porte. Sie aber weiß, was ich, was die denken. Auch hatte ich es satt. Die Flucht und das mühsame Aufrechterhalten der Furcht ermüdeten mich. Nicht mehr zum Flugplatz wollte Oskar, fand Maison Blanche viel origineller als Flugplatz Orly, sollte-auch recht behalten; denn jene Metrostation verfügt über eine mechanische Rolltreppe, die mir zu einigen Hochgefühlen und zu jenem Rolltreppengeklapper verhelfen sollte: 1st die Schwarze Köchin da? Jajaja!
    Oskar befindet sich in einiger Verlegenheit. Seine Flucht geht dem Ende entgegen, und mit der Flucht endet auch sein Bericht: wird die Rolltreppe der Metrostation Maison Blanche auch hoch, steil und sinnbildlich genug sein, um als Schlußbild seiner Aufzeichnungen zu rattern?
    Doch da fällt mir mein heutiger dreißigster Geburtstag ein. Allen denjenigen, welchen die Rolltreppe zuviel Lärm macht, welchen die Schwarze Köchin keine Furcht einjagt, biete ich meinen dreißigsten Geburtstag als Schluß an. Denn ist nicht der dreißigste Geburtstag unter allen anderen Geburtstagen der eindeutigste? Die Drei hat er in sich, die Sechzig läßt er ahnen und macht sie überflüssig. Als heute früh die dreißig Kerzen rings um meinen Geburtstagskuchen brannten, hätte ich vor Freude und Hochgefühl weinen mögen, aber ich schämte mich vor Maria: mit dreißig Jahren darf man nicht mehr weinen.
    - Sobald mich die erste Stufe der Rolltreppe - wenn man einer Rolltreppe eine erste Stufe nachsagen darf - mitnahm, verfiel ich dem Lachen. Trotz Furcht oder wegen der Furcht lachte ich. Steil ging es langsam hoch — und oben standen sie. Zeit fand sich noch für eine halbe Zigarette. Zwei Stufen
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