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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin
Autoren: Astrid Fritz
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und Überfahrt beisammen hatte und aus der Württembergischen Staatsbürgerschaft entlassen war. Drei Monate, die sie an der Seite einer glücklichen Sophie hatte verbringen dürfen, im Wohlstand eines überaus vornehmen Bürgerhaushalts mit Stubenmagd und Köchin und einer Hausherrin, die nichts lieber tat, als ihren Gast aufs großzügigste zu verwöhnen. Sophie war es auch, die das Ruder in die Hand nahm beim Einkauf der Reiseutensilien, wobei sie es sich nicht nehmen ließ, immer wieder etwas aus eigener Tasche zu bezahlen. So kam Theres nicht nur in den Besitz einer hübschen Reisetruhe, sondern von mindestens doppelt so viel Kleidungsstücken wie vorgesehen.
    Über fünf Jahre war es her, dass sie sich in Ulm das letzte Mal gesehen hatten, und nun hing ein vierjähriges Mädchen mit blonden Engelslocken an Sophies Rockzipfel, ein zweites Kind lag in der Stubenwiege, und das dritte kündigte sich mit Sophies gewölbtem Bauch bereits an. Die Rolle als Mutter und als Gattin eines gutbetuchten Kaufmannes hatte ihrem unverblümten Mundwerk allerdings keinen Abbruch getan.
    «Es geht mir so gut! Friedemann ist der beste Gatte, den eine Frau sich wünschen kann. Er achtet mich, er verwöhnt mich und lässt mir gänzlich freie Hand im Haushalt. Im Bett ist er halt nicht grad der Stier, aber sehr lieb, und außerdem ist er nicht allzu oft daheim, was unschätzbare Vorteile hat. Wasmeinst, wie viel Spaß ich hier manchmal mit meinen Freundinnen hab.»
    Friedemanns Konfektionshaus am Marktplatz florierte. In Stuttgart musste es demnach genügend Reiche geben, die sich solch erlesene Ware leisten konnten. Zu seinen Stammkunden zählte auch der von Patriz erwähnte Kaufmann Carl Mercy, ein Freidenker und bekennender Deutsch-Katholik und fast schon ein Freund des Hauses. In väterlicher Zuneigung kümmerte er sich um Theres’ Belange, ohne ihn hätte alles wohl noch viel mehr Zeit in Anspruch genommen.
    So sehr Theres die Wochen bei ihrer Freundin genoss, so sehr fieberte sie doch dem Zeitpunkt ihrer Abreise entgegen. Mitte Juli war es so weit: Mercy selbst brachte sie in seinem Wagen nach Nürnberg, wo er in geschäftlichen Dingen zu tun hatte. Von dort dann war sie weitergereist auf Flussschiffen und Frachtfuhrwerken, immer in Gesellschaft, wie es ihr Mercy und Friedemann dringend angeraten hatten. Ohnehin verstanden die beiden nicht, warum sich Theres weigerte, die schnellere Eisenbahn zu nehmen. «Das teure Geld spar ich mir lieber», hatte sie geantwortet. In Wirklichkeit aber hätten sie keine zehn Pferde in ein solches Monstrum gebracht.
    In Hamburg angekommen, hatte der unbehaglichste Part ihrer Reise begonnen. Von der berühmten Hanse- und Hafenstadt bekam sie kaum etwas zu Gesicht, da sie, nachdem sie den Anspruch auf eine Schiffspassage angemeldet hatte, das Gelände um das Auswandererhaus nicht mehr verlassen durfte. Zusammengepfercht wie die Heringe im Fass, hauste sie mit anderen Wartenden in einem der Pavillons auf der Veddel, vor den Toren der Stadt, musste sich mit streitsüchtigen Bettnachbarn arrangieren und mit Argusaugen über ihre Besitztümer wachen – was für sie, die nie etwas besessen hatte, eine neuartige und anstrengende Erfahrung war.
    Dafür wurde ihr ein Platz auf einem Segler mit dem verheißungsvollen Namen «Marie» gebucht – Marie wie ihre Mutter, Marie wie der Name der Mutter Gottes. Eine Marie also würde sie in ihr neues Leben bringen!
     
    «Sie reisen ganz allein und lächeln doch so glücklich!»
    Neben ihr war der Kapitän aufgetaucht, ein sympathischer, vollbärtiger Mann, dessen norddeutsche Mundart Theres leider nur mit Mühe verstand. Sie nickte und strahlte nur noch mehr.
    «Wartet denn in Amerika jemand auf Sie?»
    «Ja. Der wichtigste Mensch meines Lebens. Was meinen Sie, Herr Kapitän: Wann werden wir in Neuyork ankommen?»
    «Bei günstigem Wind dauert’s etwa fünfzig Tage, sonst auch einiges länger. Ich hoffe, Sie werden die Reise trotzdem genießen können, junge Frau. Im Übrigen: Einem Mann hat es noch nie geschadet, wenn er auf seine Deern mal warten muss.»
    Er nickte ihr noch einmal freundlich zu und trat einige Schritte vor an die Reling. Wie eine Gallionsfigur stand er im Wind und schien dem Meer zu lauschen.
    Dass Patriz auf sie wartete auf der anderen Seite dieses riesigen Ozeans und dass sie sich finden würden, das wusste sie ebenso sicher, wie sie um den Tod ihrer Mutter gewusst hatte. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie ihr erstes Zusammentreffen
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