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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin
Autoren: Astrid Fritz
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er ihr von jenem Kruzifix in der Pfarrstube, von seinem Jesus Christus, erzählt hatte. Dass er sogar, wenn er sich nur genug öffne, dessen Antworten hören könne. «Manches Mal hat er mich auch gerügt und getadelt oder zur Umkehr bewegt.»
    «Hast du   …» – das Du war Theres jetzt, wo sie sich nicht mehr berührten, schwergefallen   –, «hast du ihm von mir erzählt?»
    «Ja.» Patriz lachte leise. «Beim ersten Mal hat er einfach geschwiegen, und das hat mich fast wütend gemacht. Heute weiß ich, dass ich mir damals meiner Liebe noch nicht sicher war.» Er tastete im Gehen nach ihrer Hand und hielt sie fest. «Beim nächsten Mal fragte ich ihn, wie der erste Korintherbrief zu verstehen sei:
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.
‹Die Bibel ist von Menschenhand geschrieben›», fuhr er fort, «‹und von Menschen wird sie ausgelegt. Kann da nicht jede Form von Liebe gemeint sein, auch die zwischen Mann und Frau?› Eben das hatte ich ihn gefragt. Und er hat mir geantwortet: ‹Jede Liebe ist gemeint, auch die zwischen dir und Theres, wenn sie ohne Bedingung und Vorbehalt ist.› Da habe ich fast geweint vor Glück.»
    Bei den letzten Worten war Patriz stehengeblieben, und sie hatten sich ein letztes Mal umarmt, da das Dach der Sägmühle schon zwischen den Bäumen zu erkennen war.
    Das Gesicht der Christusfigur vor ihr begann nun wirklich zu lächeln. Theres erhob sich aus dem nassen Gras, bekreuzigte sich noch einmal und setzte ihren Weg in Richtung Nordenfort. Sie war ohne Zuhause und ohne einen Heller im Beutel, besaß nichts als das, was sie auf dem Leib trug, in der Schürzentasche die Perlenschnur ihres Rosenkranzes und die beiden Holzfiguren ihrer Kindheit sowie ein amtliches Schreiben darüber, dass ihr Heimatrecht für das Oberamt Ravensburg verwirkt sei. Aber sie hatte ein Ziel und fühlte sich dabei leicht und frei wie ein Vogel.
     
    «Theres?» Der kleine, dicke Mann blinzelte zwei-, dreimal durch den Türspalt, dann riss er die Tür weit auf und nahm sie unbeholfen in die Arme. Er schien sich aufrichtig zu freuen, sie zu sehen.
    «Beinah hätt ich dich nicht erkannt. Schnell herein, du bist bestimmt ganz durchgefroren.»
    Auch Theres hätte Peter Konzet, wäre sie ihm auf der Straße begegnet, nicht erkannt. Er besaß kein einziges Haar mehr auf dem glänzenden Schädel, dafür bedeckte ein hellgrauer Bart den Großteil seines runden Gesichts. Seine Stimme war noch leiser, als sie sie in Erinnerung hatte.
    Dafür schien sich in seinem Haus nichts verändert zu haben. Als er sie in die beheizte Stube führte, mit gebeugtem Rücken und schlurfigen Schritten, hatte Theres den Eindruck, den Pfarrhof gestern erst verlassen zu haben. Selbst die alte Gartenbank draußen unter dem Nussbaum gab es noch, wenngleich sie noch wackliger wirkte.
    Konzet rief nach der Magd, einer älteren Frau mit offenem, freundlichem Gesicht, und bat sie, die Suppe vom Mittag noch einmal aufzuwärmen. Dabei hatte Theres kein bisschen Hunger. Alles in ihr verlangte nur danach, Patriz wiederzusehen.
    «Nein, nein, das braucht es doch nicht», wehrte sie ab und blickte der Magd nach. «Ist Elisabetha nicht mehr im Haus?»
    «Schon lange nicht mehr. Vor gut fünf Jahren ist sie gestorben,Gott sei ihrer Seele gnädig. Ohne zu leiden. Ist einfach eingeschlafen, ohne aufzuwachen.» Er hörte nicht auf, Theres zu mustern. «Kind, wie sehr du dich verändert hast. Richtig erwachsen geworden bist du.»
    Sie lächelte. Auf dem letzten Stück Wegs hierher hatte sie nachgerechnet, wie lange ihre Zeit bei Pfarrer Konzet zurücklag. Dabei war sie auf zwölf Jahre gekommen, wenn sie richtig gezählt hatte. Ihr einstiger Dienstherr war auffallend gealtert, aber er wirkte auch milder, nach all den Jahren. Ob er wohl von der Liebe wusste zwischen ihr und Patriz?
    So sachlich als möglich, wenngleich mit unsicherer Stimme, fragte sie: «Hat Pfarrer Seibold Ihnen gesagt, dass ich kommen werde? Dass wir weiter wollen nach Stuttgart, zum König?»
    «Ja, ja, das hat er.»
    Sein linkes Augenlid begann zu flattern.
    «Nun   …» Sie wurde noch unsicherer. «Ist Pfarrer Seibold noch gar nicht hier?»
    Er seufzte so tief, dass Theres bis ins Mark erschrak.
    «Er war hier. Bis vorgestern. Dann haben sie ihn, hier bei mir, verhaftet und nach Rottenburg gebracht.»
    Im ersten Moment glaubte sie ihm kein Wort. Er verleugnete seinen Freund und Kollegen vor ihr, weil er als katholischer
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