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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs
Autoren: Tania Douglas
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leise, als der Pflanzensaft sich durch seine Haut fraß und sie verätzte. Ein feuerroter Fleck erschien.
Das Krankheitsbild, das wir anstreben, weist unregelmäßig verteilte Stellen an Armen, Hals und Gesicht auf. Denk also daran,
     ein möglichst zufällig anmutendes Muster zu bilden.
    André befühlte seine Wangen und betrachtete seine Hände und Unterarme. An vielen Stellen hatten sich bereits die Pusteln entwickelt,
     die auf die roten Flecken folgten. Es brannte höllisch. Wie immer, wenn er den Schmerz nicht mehr ertrug, schnellte er auf
     und lief ein paar Schritte. Die kühle Luft der Zelle linderte seine Qualen, doch die Erleichterung war nur von kurzer Dauer.
Leider wirst du Schmerzen erleiden. Dafür aber werden die Pusteln echt sein und jeder näheren Betrachtung standhalten. Hab
     keine Angst: Sie werden sich nach ein paar Tagen zurückbilden, genau wie normale Brandblasen. Es kann allerdings sein, dass
     dir ein paar Narben bleiben.
    Was waren schon ein paar Narben gegen seine Freiheit? André spähte durch das kleine Fenster seiner Zelle. Draußen graute bereits
     der Tag. André sah nur ein kleines Stück malvenfarbenen Himmels, jungfräulich und wolkenlos. Er trat vom Fenster zurück und
     räumte die Spuren seines nächtlichen Werkes auf. Die restlichen Stängel der Euphorbien |567| ließ er im Fäkalien-Eimer verschwinden, dann überlegte er, wie er mit Marie-Provence’ Brief vorgehen sollte. Schließlich zerriss
     er ihn in kleine Stücke, schob sich die Papierfetzen in den Mund und schluckte sie hinunter.
    Jetzt gab es nichts mehr zu tun als zu warten. Man würde erst in ein paar Stunden kommen, um ihn abzuholen. Bis dahin sollte
     er versuchen, sich auszuruhen. Er löschte die Kerze, die ebenfalls im Korb gelegen hatte. Dann streckte er sich auf seiner
     Pritsche aus. Seine Haut brannte wie Feuer.
     
    «Zeit zum Aufstehen, Levallois!», rief der Wächter, als er Andrés Zelle betrat. «Ab ins Tribunal!»
    André antwortete nicht, sondern zwang sich, reglos liegen zu bleiben. Sein Herz klopfte so wild, dass er meinte, der Wärter müsse es hören.
Bleib liegen und rühr dich nicht. Mime große Schwäche, Fieber, auch Schüttelfrost, wenn du kannst. Sie erschießen keine Todkranken.
     Also werden sie deine Hinrichtung verschieben müssen und nach einem Arzt schicken. Kerarmel, der Chirurg, mit dem ich arbeite,
     ist eingeweiht. Er wird bestätigen, dass du dem Tode nahe bist, und wegen der Ansteckungsgefahr deine Verlegung in ein isoliertes
     Krankenzimmer verordnen. Du bekommst so einen Aufschub von zwei bis drei Wochen. Zumindest in der Anfangszeit dürftest du
     nicht bewacht werden und eine Flucht ein Leichtes sein   …
    Die Schritte des Wärters näherten sich. Er schlug die Decke auf, unter der André sich zusammengerollt hatte. Nun klang der
     Mann verärgert: «Auf, oder brauchst du einen Tritt in den Hintern, um   …» Er unterbrach sich mit einem Schrei. «Was zum Teufel ist das? Wie siehst du denn aus?»
    André hielt die Augen geschlossen und röchelte leise. Er hörte den Wächter zurückstolpern.
    «Antoine! Komm sofort her! Schnell, verdammt!»
    «Ach du Scheiße, das sind bestimmt die Pocken», stammelte Antoine, als er André erblickte.
    Sein Kamerad stieß einen gurgelnden Laut aus. «Ich lauf und hol Kerarmel.»
    «Nein!», rief Antoine hastig. «Willst du uns umbringen? |568| Wenn bekannt wird, dass hier die Seuche ausgebrochen ist, verriegeln sie das Kloster und lassen uns wochenlang nicht raus!»
     Seine Stimme überschlug sich. «Das nennt man Isolation. Die halten uns hier so lange fest, bis wir uns alle gegenseitig angesteckt
     haben und verrecken!»
    «Aber wir haben doch keine andere Wahl!»
    «Doch, die haben wir», meinte Antoine erregt. «Lass uns nachdenken. Hast du sonst noch jemandem über den Kerl Bescheid gesagt?
     Nein? Sehr gut. Der ist der Erste. Wenn wir Glück haben, bleibt er der Einzige. Wir müssen uns seiner nur entledigen, bevor
     etwas bekannt wird.»
    André, der mit geschlossenen Augen zuhörte, lief es kalt den Rücken hinunter.
    «Ich kann doch einen Todkranken nicht umbringen», wehrte der erste Wächter entsetzt ab.
    «Hab ich gesagt, dass wir das tun? Der ist doch sowieso schon so gut wie hinüber! Wir schmeißen ihn auf den Leichenwagen zu
     den beiden anderen und werfen ihn mit ihnen in die Grube. Keiner wird was merken.»
    «Aber   …»
    «Kein Widerwort. Geh lieber und hol die Leichenbahre. Und zwar ein bisschen plötzlich»,
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