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Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust

Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust

Titel: Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
Autoren: David Ellis
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ich und überlegte, ob ich noch ein paar Abschiedsworte sprechen sollte, aber da mir auf die Schnelle keine Perle salomonischer Weisheit einfiel, entschuldigte ich mich einfach. Ich nahm die Treppe nach unten zum Büro des Staatssekretärs, wo üblicherweise das Zentralregister offizielle Dokumente wie eine Berufung an den Obersten Gerichtshof in Empfang nahm.
    Als ich die Eingangstür des Zentralregisters erreichte, blieb ich stehen. Ich händigte das Dokument Special Agent Lee Tucker vom FBI aus, der seinen schicksten blauen Anzug trug und dazu ein frisch gestärktes weißes Hemd mit Krawatte. Er nahm das Dokument mit der linken Hand entgegen und reichte mir dann die rechte. Ich schüttelte sie und blickte ihm einen Moment lang in die Augen. Keiner von uns sagte etwas. Und einer von uns beiden war ziemlich aufgeregt.
    Tucker nickte und ließ das Dokument in seine Aktentasche gleiten. Dann schlüpfte er in die blaue Windjacke, die über seinem Arm gelegen hatte und auf deren Rücken in weißen Blockbuchstaben »FBI« stand. Er murmelte irgendetwas in sein Kragenmikro – und keine drei Minuten später kamen
sechs Männer und zwei Frauen mit ernsten, entschlossenen Mienen und in denselben blauen Jacken die Treppe herauf und scharten sich um ihn.
    »Dann mal los«, sagte Tucker.
    Die FBI-Agenten stiegen dieselben Stufen empor, die ich soeben heruntergekommen war, bewaffnet mit Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsvollmachten und diversen Haftbefehlen. Ich lehnte mich gegen die Wand und sah zu. Es schien mir, als hätte ich bereits eine Ewigkeit auf die Glastür mit dem Amtssiegel und der Aufschrift CARLTON SNOW, GOUVERNEUR gestarrt, als endlich die FBI-Beamten mit Madison Koehler, Brady MacAleer und Hector Almundo herausmarschiert kamen, alle drei mit Handschellen gefesselt.
    Ich stand eine Etage tiefer und spähte hinauf. Keiner von ihnen konnte mich sehen. Nur kurz erhaschte ich einen Blick auf ihre Gesichter, trotzdem würden sich diese Bilder vermutlich für immer in mein Gedächtnis einbrennen: die Scham und die Empörung in ihren Mienen – aber vor allem der Ausdruck völliger Verblüffung. Wahrscheinlich rauschte ihr Leben noch einmal in rasendem Tempo vor ihrem inneren Auge vorbei. Sie schienen sich zu fragen, was genau die Grundlage für die Anklage sein würde; wie man ihnen auf die Spur gekommen war; wie viel das FBI wusste; wie sie sich wieder aus dieser Klemme herauswinden konnten. Sie stellten Hochrechnungen an, wie viel Schaden in ihrem Leben und ihren Karrieren angerichtet und wie viel davon noch reparabel war. Und sie beteten, dass sie irgendwann die Augen öffnen würden und sich alles nur als böser Traum herausstellte.
    Keine Ahnung, wie lange ich dort stand und auf die Glastür
des Gouverneurs starrte. Bundesbeamte kamen und gingen, schleppten Computer und ganze Aktenschränke heraus. Natürlich bildete sich bald auch eine Traube von Neugierigen um das Büro, und es dauerte nicht lange, bis die ersten Kameras auftauchten.
    Der Gouverneur war nicht verhaftet worden und hatte sich auch nicht außerhalb seines Büros gezeigt. Hätte er gründlich darüber nachgedacht, hätte er sein Büro wohl besser unmittelbar nach den Verhaftungen verlassen, noch bevor die Medien eintrafen. Jetzt saß er in der Falle. Meinem Wissen nach gab es nur einen Ausgang, also würde er sich irgendwann der blutrünstigen Medienmeute stellen müssen.
    Mein Handy summte. Eine mir unbekannte Nummer leuchtete auf. Außerdem erkannte ich an den Symbolen am Rand des Displays, dass ich in den letzten zwanzig Minuten zwei Anrufe erhalten hatte. Ich hatte nichts davon bemerkt.
    Bevor ich auch nur hallo sagen konnte, zischte Peshke erregt ins Telefon: »Jason, wo sind Sie? Wir brauchen Sie sofort im Büro des Gouverneurs. Wissen Sie denn nicht, was hier abläuft?«
    Ich ließ das Handy zuschnappen. Nicht, dass es mir Vergnügen bereitet hätte, ihnen in diesem Moment den Rücken zuzukehren, aber es war die einzige Option. Komisch, aber mir war nie in den Sinn gekommen, dass der Gouverneur in diesem verhängnisvollen Moment seinen Anwalt anrufen würde.
    Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schlecht, weil ich diesem Anruf auswich und einfach davonlief. Es erschien mir grausam. Eigentlich eine ausgesprochen merkwürdige Reaktion, wenn man bedachte, was ich alles getan hatte, um diesen Tag überhaupt erst möglich zu machen.

    Ich verließ das State Building und machte mich auf den Weg in meine Kanzlei.

    Marie, meine Empfangsdame,
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