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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman
Autoren: Aufbau
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Jägerzauns zu sichern, war er vollkommen durchnässt von hoch aggressiven, mit kanzerogenen Dioxinen angereicherten Regentropfen, die ihre todbringenden Schadstoffe in seinen Haaren, auf seiner Haut und in seinen Lungen hinterlassen hatten, ins Haus zurück gestürzt.
    In Windeseile hatte er sämtliche Rollläden heruntergelassen und im Bad die nassen Kleider ausgezogen. Anschließend hatte er sich flüchtig abgetrocknet und sich seinen Bademantel übergeworfen. Zufrieden lauschte er auf das Prasseln des Regens auf dem Flachdach. Alles war festgezurrt und gut verankert, so dass Helmut sich in diesen Sekunden so unangreifbar fühlte wie lange nicht mehr. Dabei lauerte der eigentliche Feind bereits im Innern, hatte sich vor langer Zeit in Form von Milliarden winziger Schmutzpartikel Zugang verschafft. Nachdem seine zweite Frau Karla ihn verlassen und all die Reinigungstücher, Putzlappen und Staubwedel in der Besenkammer im Keller in einen tiefen Dornröschenschlaf versetzt hatte, aus dem Helmut sie nie wieder erweckt hatte, war der Schmutz zum Angriff auf ihn übergegangen.
    Über allem lag die konsistente Staubdecke langer, mehr oder weniger ereignisloser Jahre. Die mikroskopisch kleinen Partikel waren in alles und jedes eingedrungen, hatten zunächstdie Kissen befallen, dann die Couch und schließlich die Polster seines Sessels. Wollmäuse unter den Schränken und in den Zimmerecken boten allerhand Ungeziefer das perfekte Klima. Gleichzeitig hatten die Flusen sich großflächig in dem vier mal vier Meter breiten, im Wohnzimmer liegenden und vom schräg einfallenden Sonnenlicht über die Jahre gebleichten Perser eingenistet und den darin lauernden Milben ein kleines, beständiges Paradies geschaffen. Und irgendwann hatten sie schließlich einen Direktangriff auf Helmut selbst gestartet, hatten unsichtbar seine Poren verstopft, Zentimeter um Zentimeter seines Körpers in Besitz genommen, hatten unmerklich seine Stirnhöhlen belagert, seine Schleimhäute besetzt und ihm den Blick getrübt. So saß er neuerdings schon morgens schniefend oder röchelnd vor dem Fernseher und setzte auf der Fernbedienung absurde Morsezeichen ab, ohne sich einem einzigen anderen Lebewesen auch nur millimeterweit zu nähern. Längst zog Helmut den einschläfernden Dauermonolog des Fernsehers jedem Gespräch vor. Für gewöhnlich taute er ohnehin erst nach achtzehn Uhr auf, dann nämlich, wenn in den Kneipen rund um den Hanauer Freiheitsplatz die ersten Lichter ansprangen. Dann begann sich sein tagsüber ins Stocken geratener Redefluss in Bewegung zu setzen, seine Mimik wurde geschmeidiger, seine Gesichtsmuskulatur beweglicher und der Ausstoß seiner Worte manchmal geradezu exorbitant. War der große Zeiger seines Rolex-Blenders schließlich auf die Zehn vorgerückt, war Helmut, der zu diesem Zeitpunkt meist bereits ein halbes Dutzend Gläser Bier intus hatte, in der Regel nicht mehr zu stoppen. Ein verrückt gewordener Talkmaster, der Sätze spuckte, Witz an Witz reihte und nach jedem Kalauer, den er grinsend zum Besten gab, Beifall heischend um sich blickte. »Interviewen« nannte Helmut das, wenn er, umringt von seinen Golf-Kumpanen,fremde Kneipenbesucherinnen in seine leicht durchschaubaren rhetorischen Fallen zu locken versuchte, sie mit seinem selbstherrlichen Gerede belästigte. Dann begann sich seine teigige, vom Bierkonsum aufgeschwemmte Gesichtshaut von innen heraus zu röten und zu glühen (als reibe man an einer Wunderlampe, und der darin schlummernde Geist erwache zum Leben), und auf seine zitternde Oberlippe traten winzige Schweißperlen. Meist gelang es den Frauen jedoch, sich der überraschenden Vereinnahmung zu entziehen und ihn in die Defensive zu zwingen, so dass, was eben noch launig erschien, plötzlich mitleiderregend wirkte. Trotzdem war es ihm auf diese Weise immer wieder gelungen, Frauen in sein Bett zu holen, einsame Herzen zumeist, die es kaum noch Überwindung kostete, sich allein in ein Lokal zu setzen und ein paar Piccolos zu leeren. Und Helmut störte die Armseligkeit seiner vom Alkohol gestifteten Eroberungen nicht im Geringsten. Morgens neben einer Frau aufzuwachen, deren langes Haar sich über sein Kopfkissen ergoss, war weitaus angenehmer, als allein zu sein oder eine Prostituierte zu bezahlen. Gelegentlich jedoch kam es zu peinlichen Szenen zwischen ihm und den Damen, wenn sie sich morgens mit verquollenen Gesichtern ansahen und das schmerzhafte Gefühl hatten, den Abscheu des anderen zu sehen, bevor die
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