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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman
Autoren: Aufbau
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sich interessiert nach vorn und besah sich die Fische etwas genauer. Silbrig hin und her huschende Schatten, die, sobald sie sich ins Licht drehten, bunt aufleuchteten.
    »Ich nehme einen von denen«, sagte Hoffmann und verließ den Laden wenige Minuten später mit einem prall mit Wasser gefüllten und zu einer Kugel aufgeblasenen Klarsichtbeutel. Immer wieder warf er einen prüfenden Blick auf den kleinen Buntbarsch darin.
    In einem ihrer ersten Gespräche hatte Fräulein Ogata Hoffmann von ihrer in Tokio lebenden älteren Schwester Megumi erzählt, einer
Seiyu
, auf die alle in der Familie sehr stolz seien. Auf Hoffmans Frage, was denn eine
Seiyu
sei, hatte Herr Nishi, der seine kleine Küche verlassen und ihr Gespräch offenbar belauscht hatte, gesagt: »Eine Schauspielerin, die im Fernsehen anderen ihre Stimme leiht.«
    »Sie meinen eine Synchronsprecherin«, hatte Hoffmann ergänzt.
    »So ist es«, hatte Fräulein Ogata gesagt und lächelnd genickt. »Megumi ist in Japan eine Berühmtheit. Sie ist der Stolz unserer Familie. Eine wunderbare Person. Alle lieben sie.«
    Hoffmann musste, während er ging, daran denken, wie stolz Fräulein Ogata ausgesehen hatte, als sie über ihre Schwester gesprochen hatte. Es hatte ihm imponiert, wieselbstverständlich sie sich am Erfolg ihrer Schwester freuen konnte. Ohne jede Spur von Neid oder Missgunst. Im Gegenteil. Sie schien vielmehr für ihr eigenes Leben Kraft daraus zu schöpfen. Wer konnte so etwas hierzulande schon von sich sagen? Dass er neidlos Kraft aus dem Erfolg eines anderen bezog. Ein Heiliger allenfalls. Oder einer, der den Verstand verloren hatte.
    Hoffmann blickte wieder auf den Barsch in dem Beutel, der darin haltlos hin und her wogte. Irgendwo hatte er gelesen, dass asiatische Restaurantbetreiber, die bereit waren, Schutzgelder an die japanische Mafia zu zahlen, dies damit zum Ausdruck brachten, dass sie Aquarien in ihren Restaurants aufstellten. Doch Hoffmann konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Herr Nishi, wenn auch gegen seinen Willen, mit der japanische Mafia Geschäfte machte. Herr Nishi ein Handlanger der Yakuza, der mit seinen Zahlungen deren Existenz indirekt bejahte? Unvorstellbar!
    Hoffmann bog in die Straße ab, in der sich Herrn Nishis kleines Restaurant befand. Kaum hatte er die Eingangstür geöffnet, wich er auch schon zurück, und der mit Wasser gefüllte Beutel pendelte an seiner Hand langsam aus. Wie seinerzeit die auf Stojan Vitina gerichtete Kalaschnikow des Serben.
    Fräulein Ogata stand auf Zehenspitzen neben dem Aquarium, und hatte einem jungen, deutlich größeren Asiaten beide Arme um den Hals gelegt. Ihr Kopf ruhte schutzsuchend an seiner Brust. Die Augen hielt sie mit einem Lächeln geschlossen. Langsam drehten sich beide im Kreis.
    Hoffmann warf einen Blick auf den Barsch, löste seine Finger von dem Griff der Tür, die langsam zuklappte, und lief davon.
    Als er Stunden später in seiner Wohnung auf der Couch saß, den zerdrückten Klarsichtbeutel aus der Zoohandlung nebensich, während der Buntbarsch mit dem Bauch nach oben in der halb mit Wasser gefüllten, vor ihm auf dem Tisch stehenden Glasschale trieb, dachte er, dass es wichtig sei, Freunde zu haben. Oder eine Schwester wie das wunderbare Fräulein Megumi. Jemanden, dem gegenüber man sich öffnen konnte. Das konnte auch ein Hund sein. Nur kein Fisch. Fische lächelten nicht und starben viel zu schnell.

Informationen zum Buch
    „Ein Roman, den man mit angehaltenem Atem liest.“ Daniel Kehlmann
     
    Ein letztes Mal wollen die Jansens zusammen feiern, doch ihr Fest endet fatal. Hennings Chronik einer musterhaften Familie ist eine aberwitzige, rabenschwarze menschliche Komödie, ein Mosaik aus Hoffnung, Glück, kleinen und großen Schrecken – ein Buch des Lebens.
     
    „Der große realistische Roman dieser Jahre.“ Matthias Altenburg
     
    "Wie die Sensation allein durch das Vermögen der Sprache entsteht, das muss jeden Leser besonders freuen." Martin Walser
     
    „Was Jonathan Franzen konnte, kann Peter Henning auch.“ Elke Heidenreich
     
    Über Taunus und Rhön gehen sintflutartige Regenfälle nieder. Sie sind Vorboten eines Orkans, der die Familie Jansen mit aller Zerstörungskraft trifft: Weil Johanna Jansen, die 80-jährige Patriarchin, in ein Wohnstift ziehen will, möchte sie ihre Kinder noch einmal um sich versammeln. Doch der Lebensabend wird für sie zur Sonnenfinsternis: Plötzlich verschwindet ihr Lebensgefährte, und ihr ältester Sohn
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