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Die Achte Fanfare

Titel: Die Achte Fanfare
Autoren: Jon Land
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werden könnte. Kamanski behauptete, Pro-Tech habe ihn jedoch uneinnehmbar gemacht und brüstete sich damit, die Überwachungsvorkehrungen wären so ausgeklügelt, daß sie sogar eine Fliege aufspüren würden. Der Fährmann nickte und ließ ihn reden; er verkniff sich den Hinweis darauf, daß sie nicht hatten verhindern können, daß Jordan Lime in seinem eigenen Schlafzimmer verstümmelt worden war.
    Das Eingangstor war noch besetzt, doch die Wachen, die um das Gelände Streife gingen, waren abgezogen worden. Der weitläufige Landsitz wurde von einem leichten Nebel eingehüllt, und der Nieselregen fühlte sich auf Kimberlains Wangen wie Eis an, als Kamanski ihn zur Treppe der Villa führte. Die mit Marmor ausgelegte Eingangshalle, die die Überwachungszentrale beherbergt hatte, war leer, und so gingen sie weiter zur Bibliothek, in der sich ein großer Fernsehapparat mit eingebautem Videorecorder befand.
    Kamanskis Leute hatten bereits das betreffende Band eingeschoben.
    »Es ist nichts darauf zu sehen«, behauptete Kamanski. »Ich habe es mir schon hundertmal angesehen.«
    »Spielen Sie es ab, David.«
    Kamanski drückte auf einen Knopf, und der Bildschirm füllte sich mit der letzten Ansicht von Jordan Limes Schlafzimmer. Dessen Besitzer lag unter der Decke, ohne etwas von den schrecklichen Gewalttätigkeiten zu ahnen, die sich bald hier abspielen würden. Im nächsten Augenblick zersplitterte Glas, und auf das Bild legte sich Schnee, so daß kaum noch was zu erkennen war.
    »Was war das für ein Geräusch?«
    »Ein Bild fiel von der Wand.«
    »Wieso?«
    »Wissen wir nicht.«
    Nun bewegten sich die Bildstörungen und wurden Sekunden später dunkel, als Blut gegen die Linse spritzte. Kimberlain spulte das Band zurück und sah es sich ein zweites Mal an. »Haben Sie eine Ahnung, wieso das Bild ausfiel?«
    »Das Kabel zur Kamera wurde zum Teil durchtrennt.«
    »Und dieses Kabel verlief in der Nähe des Bildes, das genau im richtigen Augenblick von der Wand fiel?«
    »Ja, allerdings.«
    Kimberlain spielte das Band noch einmal ab; diesmal drehte er die Lautstärke auf. Er wußte nicht genau, was er erwartete, doch es war schlimm genug. Völlige Stille, dann die plötzlichen, schrecklichen Schreie – vielleicht Geräusche eines Kampfs –, gefolgt von dem Tropfen von Blut.
    »Was, wenn der Mörder schon im Zimmer war, als Lime den Löffel abgegeben hat?«
    Kamanski schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Der Raum wurde überprüft, bevor Lime ihn betrat, und den ganzen Tag über bewacht. Einmal angenommen, der Mörder konnte sich ein paar Stunden verstecken – das Sicherheitssystem verfügt über so empfindliche Bewegungsdetektoren, daß sie sogar leise Atemgeräusche wahrgenommen hätten. Den ganzen Tag über wurde nicht das geringste registriert. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen die Ausdrucke.«
    »Ich vertraue Ihrem Wort, Hermes. Ich nehme an, ihr habt die Geräusche auf dem Band ausgesiebt und gefiltert?«
    Kamanski nickte. »Wir haben jedes einzelne Geräusch bis zum Hundertfachen verstärkt und in die einzelnen Bestandteile zerlegt.«
    »Schritte?«
    »Wir konnten keine feststellen. Wenn es welche gab, gingen sie in den Schreien unter.«
    »Zeigen Sie mir das Schlafzimmer«, sagte der Fährmann.
    Kamanski hatte im Hubschrauber nicht übertrieben. Abgesehen davon, daß die abgetrennten Körperteile und andere Überreste der Leiche entfernt worden waren, war in Jordan Limes Schlafzimmer alles unverändert. Überall befanden sich große Pfützen eingetrockneten Blutes – auf dem Boden, den Bettlaken, dem Teppich. Fast schwarze Finger waren auf den Wänden erstarrt und schienen sich zu bewegen, als Kimberlain zu ihnen hinübersah.
    Er schritt durch das Zimmer und konnte sich nur allzu gut versinnbildlichen, wie es passiert, wie Jordan Lime zerrissen worden war. Doch er konnte sich nicht den eigentlichen Mord vorstellen. Er sah lediglich, wie die einzelnen Körperteile während des schrecklichen Geschreis, das er unten auf dem Band gehört hatte, verstreut worden waren. Er versuchte erneut, sich auf Lime zu konzentrieren, sich bildlich vorzustellen, was ihm widerfahren war, schaffte es jedoch nicht. Sehr oft, wenn der Fährmann den Schauplatz eines Verbrechens besichtigt hatte, konnte er sich so deutlich in das Schicksal des Opfers hineinversetzen, so wie er nur in Limes Schlafzimmer die Finger aus Blut in Bewegung sah. Doch diesmal gelang es ihm nicht. Dann bleib eben bei den technischen Details, sagte er sich.
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