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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
Autoren: Oliver Jahraus
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lose Vereinigung von Schriftstellern, die jedes Jahr einmal auf Einladung von Hans Werner Richter (1908–1993) an unterschiedlichen Orten zusammenkamen, um ihre eigenen Texte zu diskutieren. Eingeladen waren neben dem Kreis von Autoren auch Gäste, insbesondere Kritiker, immer in wechselnden Konstellationen. Zudem wurde ab 1950 ein Preis verliehen, mit dem vor allem junge und noch weniger bekannte Autoren gefördert werden sollten.
    Am 1. November 1958 geschah etwas Bemerkenswertes. Es las ein junger Autor, der bereits einige Gedichte und Theaterstücke veröffentlicht hatte, aber noch keinen großen Roman. Er las aus seinem neu entstandenen Roman das erste Kapitel, und alle waren begeistert von dieser neuen, bislang ungehörten Erzählkraft, die sich hier Bahn brach. Schon der erste Satz musste die Zuhörer in den Bann dieses außergewöhnlichen Romananfangs schlagen: «Zugegeben: Ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch, und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann.» Die Rede ist vom Treffen der Gruppe 47 im Jahr 1958 im Historischen Gasthof Adler in Großholzleute im Allgäu. Hier las Günter Grass (geb. 1927) das erste Kapitel seines Romans
Die Blechtrommel
, der dann 1959 erschien. Damit wurde eine ganz neue Erzählerstimme hörbar, eine epische Kraft spürbar, eine Lust am Fabulieren, die zu dieser Zeit geradezu revolutionär neu war, paradoxerweise auch deshalb, weil sie auf sehr alte Romantraditionen zurückgriff, insbesondere – mit dem Helden des Romans Oskar Matzerath – auf die Tradition des Pikaro- oder Schelmenromans. Der Roman erzählt in drei Büchern Oskars Geschichte von seiner Vorgeschichte und Geburt und Kindheit im Danzig der Zwischenkriegszeit, dann im Danzig, das von den Nazis okkupiert wurde, während der Kriegszeit und im letzten Buch in der jungen Bundesrepublik. Oskars Kennzeichen besteht darin, dass nicht er sich entwickelt, sondern statisch bleibt und dafür umso besser die eigentümlichen Strukturen und katastrophischen Tendenzen seiner Umwelt beobachten und reflektieren kann. Sein Blick hat etwas Entlarvendes, das betrifft die sexuellen Triebphantasien der Erwachsenen ebenso wie ihre politische Verstrickung. Kleinwüchsigkeit undHellsichtigkeit, Kindlichkeit und Subversion gehen bei ihm eigentümlich zusammen und verleihen dieser Figur ein immenses narratives Potenzial, das der junge Erzähler und Autor Günter Grass souverän auszuspielen versteht.
Die Blechtrommel
hat damit nicht nur eine zu ihrer Zeit völlig neue und innovative, unübliche und provokante Form gefunden, Geschichte und nicht zuletzt das «Dritte Reich» zu thematisieren, sondern auch vom Erzählen zu erzählen und beides in unbändiger Fabulierlust aufeinander zu beziehen.
    97. Sind Sportnachrichten Literatur? Wie passen eigentlich der frühe und späte Peter Handke (geb. 1942) zusammen? Der frühe Handke hatte Lust, seine Leser und sein Publikum (im Theater), aber nicht zu vergessen auch seine Schriftstellerkollegen zu provozieren, der späte Handke verlegt sich eher auf die Entfaltung einer souveränen ästhetischen Position in seinen Romanen. Was seine Literatur über die unterschiedlichsten Phasen seines Werkes hin auszeichnet, war und ist das Bemühen, mit Kunst bestehende Strukturen zu transzendieren, womit immer auch eine Reflexion der künstlerischen Möglichkeiten und Grenzen einherging und -geht. Im Jahr 1969 veröffentlichte Peter Handke in seinem Gedichtband
Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt
ein Gedicht, das irritieren musste. Es bestand lediglich im Abdruck der Aufstellung einer Fußballmannschaft und hieß auch so:
Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968
. Man hat dieses Gedicht in Verbindung gebracht mit einer anderen Ausdrucksweise avantgardistischer Kunst, die allerdings schon sehr viel früher entwickelt wurde, nicht zuletzt von Marcel Duchamps (1887–1968), der zum Beispiel ein Urinal oder einen Flaschentrockner im Museum ausstellte, nämlich das
ready-made
oder
objet trouvé
. Tatsächlich könnte man eine solche Mannschaftsaufstellung, die Handke einer Zeitungsmeldung oder Sportnachricht entnommen hat, als ein solches literarisches
objet trouvé
bezeichnen, das keine Literatur ist, das nur zur Literatur wird, weil es in einem Gedichtband veröffentlicht wurde. Das würde bedeuten, dass man Literatur über ihren
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