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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0
Autoren: Claus Christian Malzahn
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fordern würde, hat die deutsche Politik
     in den Wendejahren 1989   /   90 ungern thematisiert. Der letzte DD R-Ministerpräsident Lothar de Maizière versprach, dass es künftig niemandem schlechter gehen würde als vorher. Die berühmteste Rede von Helmut
     Kohl aus dieser Zeit ist jene, die er nie gehalten hat: dass die materielle Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und
     West eine Generationenaufgabe ist – und kein Job, den man mit Hilfe der Solidaritätszulage nebenbei in der kommenden Legislaturperiode
     erledigt.
    Die Polen wussten das instinktiv – die Deutschen ahnten es nicht einmal. Dass die wirtschaftliche und politische Transformation
     nicht mit überholten Rezepten zu bewerkstelligen ist, begriffen bei unserem östlichen Nachbarn sogar die Kommunisten. Anders
     als bei uns setzten sie sich schnell von der marxistischen Ideologie ab und retteten sich in das Lager der europäischen Sozialdemokratie.
     Dieser Weg blieb der SED verwehrt. Der erste postkommunistische Präsident Polens etwa, der Exkommunist Aleksander Kwasniewski,
     war später sogar zeitweilig als Nato-Generalsekretär im Gespräch. Gregor Gysi könnte man sich auf diesem Posten dagegen kaum
     vorstellen.
    Die Erinnerung an den realen Sozialismus in Deutschland ist heute vor allem von Sentimentalität und Verklärung geprägt – obwohl
     es, wenn Lebenserwartung, Gesundheitsversorgung und staatliche Unterstützung als Maßstäbe für die Lebensqualität noch etwas
     gelten, dem durchschnittlichen deutschen Arbeitslosen besser geht als dem polnischen Arbeiter. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall
     wird die DDR in Ostdeutschland überwiegend positiv beurteilt. Eine Umfrage des Emnid-Instituts im Auftrag der Bundesregierung
     ergab, dass fast die Hälfte der Befragten der DDR »mehr gute als schlechte Seiten« zuordnen. Ein Land, das einen Menschen
     vor die Alternative von »Freiheit oder Tod« stellt, war dieses Land also offenbar nicht. Oder täuscht hierdas kollektive deutsche Gedächtnis? Das wäre ja nicht das erste Mal.
    Wenn es um eine ehrliche Auseinandersetzung mit der DDR gehen soll, reicht es eben nicht aus, sich immer wieder nur die sternenklare
     Freudennacht des 9.   November 1989 zu vergegenwärtigen, als mit der raschen Öffnung der Mauer das Schicksal der DDR besiegelt wurde, oder Komödien
     wie ›Sonnenallee‹ oder ›Good Bye, Lenin‹ ernster zu nehmen als ihre Macher. Er wollte zeigen, wie die DDR sich angefühlt habe,
     erklärte Leander Haußmann, nachdem ›Sonnenallee‹ mit großem Erfolg in den deutschen Kinos lief. Gezeigt hat er vor allem,
     wie sich die DDR für ihn anfühlte. Das ist völlig legitim – aber etwas ganz anderes, als einen kühlen, abgeklärten Blick in
     die jüngste deutsch-deutsche Geschichte zu werfen. Dennoch waren diese ironisch unterlegten Filme offenbar prägend für den
     Blick zurück, so wie in den fünfziger Jahren (Anti-)Kriegsfilme wie ›Die Brücke‹ oder ›Des Teufels General‹ wichtige Impulse
     im Selbstvergewisserungsprozess des westlichen Nachkriegsdeutschlands gaben. Auch über sie würde heute niemand behaupten,
     dass sie die ganze Breite nationalsozialistischer Verbrechen abgebildet haben. Das gelang, wenn überhaupt, erst viel später,
     und wichtige Produktionen zu dem Thema wie die filmische Dokumentation ›Shoah‹ oder die T V-Serie ›Holocaust‹ kamen aus dem Ausland. Man wird sehen, ob sich die deutsche Rezeptionsgeschichte auch in dieser Hinsicht wiederholt.
     Bisher gibt es jedenfalls keinen einzigen deutschen Film über eine reale Person, der uns die Geschichte von deutscher Teilung
     und Freiheit näherbrächte.
    Immerhin haben wir mit dem Oscar-prämierten Kinodrama ›Das Leben der Anderen‹ des (westdeutschen) Regisseurs Florian Henckel
     von Donnersmarck inzwischen einen Spielfilm, der uns die Spitzel-Realität der späten DDR ebenso hautnah wie unterhaltsam vor
     Augen führt. Der Held des Films ist ein beinharter Stasi-Offizier, der die Künstlerelite der DDR verfolgt – und seineOpfer irgendwann vor dem eigenen Apparat schützt, weil er Mitleid mit ihnen hat. So einen Offizier hat es im realen Leben
     zwar nie gegeben – weswegen Donnersmarck zum Beispiel vom Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe,
     heftig angegriffen wurde. Der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann, wohl prominentestes Opfer der Stasi, verteidigte den
     Film dagegen. Man ahnt, warum: In einer Schlüsselszene begreift der
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