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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Autoren: Simone Neumann
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übrig geblieben war – erst da kam Anna der Gedanke, sich diesem Koloss anzuschließen.
    Wieso auch nicht? Den besten Schutz, so dachte sie sich, hat die Maus, wenn sie sich im Fell des Katers versteckt. Seitdem sie erwachsen war, tobte nun dieser Krieg, und er hatte mehr oder weniger schlimme Zeiten mit sich gebracht. Sie hatte versucht, sich an ihn zu gewöhnen. Manchmal hatte sie wochen-, sogar monatelang ganz vergessen, dass Krieg war. Dann hatte sie mit ihrer Schwester im Winter am Spinnrad gesessen, und beide hatten Lieder gesungen. Das heißt, sie hatte gesungen, und Mine hatte gesummt.
    Doch dann, eigentlich jedes Jahr im Frühjahr, war der Krieg zurückgekehrt. Evangelische und katholische Soldaten waren durch ihre Heimat gezogen, und nach und nach, Jahr für Jahr hatte der Krieg ihr schließlich alles genommen, was sie besaß. Zuerst war es hier und da ein Huhn oder ein Topf, der zerschlagen wurde, dann wurde ihr ihre Fruchtbarkeit genommen, bald darauf ihr Mann und schließlich ihre liebe Schwester, die ihr – das spürte sie erst jetzt, da Mine nicht mehr da war – mehr bedeutet hatte als alles andere zusammen.
    Ja, der Krieg hatte alles genommen. Ein Krieg, der eigentlich gar keiner war, denn von einer wirklichen Schlacht hatte Anna nie etwas gehört. Vielmehr, so sprachen auch die Leute im Dorf, kämpften nicht protestantische gegen papistische Soldaten auf dem Schlachtfeld, sondern beide kämpften gegen all die braven Leute, die nichts anderes wollten, als friedlich in ihren Städten und Dörfern zu leben. Wie die Heuschrecken fielen mal die einen, dann wieder die anderen über die Menschen her, fraßen all ihr Getreide und schlachteten all ihr Vieh. Die einen nahmen sich alles, weil sie glaubten, der Feind zu sein und sich deshalb alles nehmen zu dürfen, und die anderen nahmen sich alles, weil sie glaubten, der Freund zu sein und deshalb versorgt werden zu müssen.
    Und weil Anna nun nach zehn Jahren endlich gelernt hatte, dass der Krieg nur nahm und die Menschen in den Dörfern und Städten nur gaben, entschied sie sich, beim Krieg mitzumachen. Sie beschloss, sich dem Regiment anzuschließen, das heute den ganzen Tag über an ihrem Dornengebüsch vorbeigezogen war und nicht weit von ihr bald Quartier beziehen musste. Anna beschloss also, fortan nicht mehr Gebende, sondern Nehmende zu sein.

III

    Etwa einen Tagesmarsch von Annas Heimatdorf entfernt hatte sich die schwarze Schlange zur Nachtruhe begeben. Ihr Kopf ließ sich in den reichen Bauernhäusern zweier kleiner Orte nieder, ihr mittlerer Teil nahm mit weniger großen Höfen vorlieb, und der lange Schwanz, der mehr als die Hälfte dieses ungeheuren Tieres ausmachte, schlief auf Feldern und Wiesen in der Umgebung.
    Allein das Errichten der Schlaflager hatte bis tief in die Nacht gedauert. Es war eine schöne klare Nacht, der Mond stand hell und voll am Himmel, und die sterne leuchteten in unendlicher Zahl auf all die Menschen mit ihren Waffen, Zelten, Wagen und ihrem Vieh herab.
    Auch Anna, die sich noch immer im Verborgenen hielt, konnte von ihrem neuen Versteck aus weitere Beobachtungen anstellen. Noch wagte sie es nicht, sich bemerkbar zu machen, noch hatte sie Angst, dass diese Leute, die dort Würfel spielten, Wäsche trockneten, Bier tranken, Kinder stillten, Feuer machten, Lieder sangen oder Waffen polierten – dass diese Menschen ihr ein Leid antun könnten. Immerhin gehörten sie zu diesem riesigen Lindwurm, von dem sich vor zwei Wochen ein Teil gelöst hatte und raubend, schändend und mordend in ihr Dorf eingefallen war. Hier unter diesen Menschen, da war sich Anna sicher, waren die, die den Bauern Schulz aufgeknüpft, die Katharina zu Tode gequält und auch ihre liebe Schwester Mine so bestialisch ermordet hatten.
    Doch so wild und grausam Sie in ihrem Dorf gewütet hatten, So zahm und fröhlich waren Sie hier. Anna beobachtete bis zu achtköpfige Familien, die sich in mitgebrachten Töpfen ein Süppchen kochten, sie lauschte den Liedern von drei alten Männern, die es sich um ein Lagerfeuer gemütlich gemacht hatten, und war fasziniert vom Anblick zweier junger Frauen, die mit hohen Stiefeln und kunstvollen Frisuren lächelnd an einer Gruppe Soldaten vorbeistolzierten. Hin und wieder waren von den Bier und Schnaps trinkenden Würfelspielern derbe Schimpfworte zu hören, und hier und da kam es auch einmal zu einer lautstarken Auseinandersetzung, doch alles in allem war es innerhalb eines solchen Kriegsheeres friedlicher, als
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